Rosen des Lebens
einen wie die anderen
und Ereignisse und Menschen mit klarem Blick durchschaute. Ich sah keinen Anhalt, den Pater weiter auszufragen, sondern war
überzeugt, daß seine Fürsprache beim König den Interessen des Reiches nur dienlich sein konnte. Und nach einigen höflichen
Komplimenten, die ich jedoch mit aufrichtiger Achtung verband, entließ ich ihn mit dem Versprechen, |201| den König gleich morgen zu bitten, daß er ihn empfangen möge.
Bekanntlich ging das Gespräch des Geistlichen und des Königs so aus, daß Ludwig den Pater Joseph ums Haar als einen Engel
ansah, den ihm der Himmel gesandt, um ihm seinen Weg zu weisen. Ohne auch nur Minister oder Kronrat zu konsultieren, faßte
er augenblicklich seinen Beschluß. Zuerst wollte er den Pater selbst zu Richelieu schicken, doch der Kapuziner erinnerte ihn,
daß er gemäß seiner Ordensregel nur zu Fuß reisen dürfe und daß bei dem weiten Weg von Paris nach Avignon zuviel Zeit verloren
ginge. Also schickte Ludwig den weltlich lebenden älteren Bruder des Paters, Monsieur du Tremblay, in höchster Eile auf die
Reise, um dem Bischof von Luçon den königlichen Befehl mitzuteilen, der dem Empfänger die Erfüllung seiner Wünsche brachte
und den Stein des Grams von seiner Brust nahm.
Endlich war es vorbei mit seiner Verbannung! Er sollte unverzüglich nach Frankreich heimkehren und zur Königinmutter nach
Angoulême gehen, um ihr seinen weisen Rat zu spenden. Am achten März, einen Tag, nachdem dieser gottgesegnete Befehl ihn erreicht
hatte, trotz dicken Schnees und großer Kälte, brach Richelieu von Avignon auf und war am sechsundzwanzigsten März in Angoulême.
Was sich in der Zeit vom siebenundzwanzigsten März bis zum zwölften Mai abspielte, an dem der Vertrag zwischen Mutter und
Sohn zu Angoulême unterzeichnet wurde, erfuhr ich teils aus Erzählungen von Monsieur du Tremblay, teils durch eigene Zeugenschaft.
Der König teilte mich nämlich dem Kardinal de La Rochefoucauld zu, als dieser in der elften Stunde – nachdem eine gewaltige
Arbeit bereits von Richelieu geleistet worden war –, von Seiner Majestät auf den Kampfplatz geschickt wurde, um dem Pater
de Bérulle und Monsieur de Béthune den abschließenden Schulterschluß zu leihen, denn ihre seit über einem Monat geduldig geübten
Anstrengungen, mit der Königinmutter vernünftige Bedingungen auszuhandeln, hatten sie erschöpft. Der einzige Grund, weswegen
ich den Kardinal begleiten sollte, was mich natürlich entzückte, weil es mich ins Herz der Dinge führte, war der, daß er kein
Italienisch verstand und ich ihm daher nützlich sein konnte, die letzten Machenschaften der italienischen
camerilla
um die Königinmutter bloßzulegen und möglichst auszuspielen.
|202| Der Kardinal war sechzig, als er diese Reise bei scharfer Kälte auf sich nahm, doch ohne sich irgend zu beklagen, und die
ganze Zeit über bezeigte er mir eine Güte, die ich natürlich in erster Linie seinem wohlwollenden Charakter zu danken hatte,
aber gewiß auch den ausgezeichneten Auskünften seines Neffen über mich, des jungen Grafen de La Rochefoucauld, den zu sehen
ich oft Gelegenheit hatte, weil er der Großkämmerer des Königs war.
Richelieu also traf am siebenundzwanzigsten März in Angoulême ein. Épernon als Gouverneur der Stadt empfing ihn als erster,
und zwar mit so peinlich zeremoniöser wie kältester Höflichkeit. Während der Herzog ihn mit Komplimenten überhäufte, von denen
er nicht die Hälfte, ja nicht einmal ein Viertel dachte, führte er ihn zu den Gemächern der Königinmutter, die ihn aber nicht
gleich empfangen konnte, weil sie ihren Kronrat hielt. Jedenfalls mußte Richelieu im Vorzimmer warten, was er mit vertrauender,
heiterer Miene tat, wohl wissend, wie er bereits ausgespäht wurde, denn im Nu hatten sich alle Fraktionen des kleinen Hofes
gegen ihn vereinigt, so sehr fürchteten sie sein Genie.
Die einzige Person, die ihm ein gutes Gesicht zeigte und deren Gesicht nicht trog, war Madame de Guercheville, die über die
Ehrenjungfern der Königinmutter wachte und an die der Leser sich vielleicht erinnert, weil sie mich früher einmal ausgezankt
hatte, als ich zu lange und zu vertraulich mit Mademoiselle de Fonlebon plauderte.
Eine Meile vor Angoulême hatte Richelieu seine Karosse halten lassen und in einem Gasthof ein wenig Toilette gemacht, um sich
der Königinmutter in makelloser violetter Soutane zu präsentieren. Wollte man ein wenig
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