Rosen des Lebens
kritisch sein, hätte man den Höcker
auf Richelieus langer Nase bemängeln können. Doch wer hätte sich schon bei der Unregelmäßigkeit dieser im übrigen kraftvollen,
männlichen Nase aufgehalten, wenn er sich den großen schwarzen Augen des Bischofs, scharf und funkelnd, gegenüber sah.
Denn Richelieus bezwingender Zauber, oder wenigstens sein nützlichster und nachhaltigster, bestand, wie es Pater Joseph so
treffend gesagt hatte, in der Kraft, der Größe und Schnelligkeit seines Geistes.
Sowie ein Problem auftauchte, überblickte er im Handumdrehen |203| all seine Elemente und stellte sie sofort dar, indem er eins vom anderen vollkommen klar unterschied. Dann zählte er methodisch
die möglichen Lösungen auf, samt ihren jeweiligen wahrscheinlichen Wirkungen. Welche Lösung er bevorzugte, ließ er dabei lediglich
durch die überragenden Vorteile erkennen, die er in seiner Analyse dargelegt hatte. So überzeugte er, ohne zu überreden, und
sein Gesprächspartner konnte sich seiner Ansicht anschließen, ohne das Gefühl zu haben, daß er sich ihr unterwerfe.
Wer ihn an jenem Morgen dort warten sah, mochte glauben, es sei für ihn die natürlichste Sache der Welt, zu antichambrieren,
und er sei es ganz zufrieden. In zugleich würdiger und eleganter Haltung, hielt er die Lider über seinen prachtvollen Augen
geschlossen und bewegte sacht die Lippen, als ob er bete. Er betete durchaus nicht. In seinem rastlosen Gehirn memorierte
er seine Rolle und formte die Worte, die er der Königinmutter zum Wiedersehen zu sagen gedachte.
Es war fast auf den Tag genau ein Jahr, seit er von ihr, oder besser gesagt, von der Macht weggerissen worden war, die sie
ihm verliehen hatte und die doch noch wenig war im Vergleich mit der, die er erstrebte. Die Königinmutter nach so langer Abwesenheit
wieder zu erobern, war also die erste Etappe des Neuaufstiegs nach jenem Abgrund, in den ihn die Verbannung gestürzt hatte.
Zur Stunde jedenfalls, da man ihn gedemütigt wähnte, weil er im Vorzimmer warten mußte, empfand er die Verletzung nicht einmal,
so sehr konzentrierte er seine Kräfte auf die Aufgabe, die vor ihm stand.
Endlich erschien Madame de Guercheville. Und weil sie der Herold ihrer Herrin war und nicht ohne Einfluß auf diese und ihm
im übrigen wohl wollte, erhob sich Richelieu, sie auf das galanteste der Welt zu begrüßen.
Madame de Guercheville war einst wunderschön gewesen, doch von einem Tag auf den anderen war ihre Tugend ebenso berühmt geworden
wie ihre Schönheit: Sie hatte den heftigsten Attacken Henri Quatres siegreich widerstanden, ein Sieg, der ihr die ewige Huld
der Königinmutter einbrachte.
Die Zeit, die alles verschleißt, hatte ihre Reize nicht verschont, nur waren recht schöne Spuren davon geblieben, aber sie
merkte es kaum, weil die Aureole ihrer musterhaften Tugend diese Reize überlebt hatte. Madame de Guercheville war, |204| obwohl sie alterte, eine glückliche Frau, die sich in dem historischen und nahezu sprichwörtlichen Ruhm ihrer Tugend sonnte.
Nie ließ sie es gegenüber den Edelleuten des Hofes an kleinen Koketterien fehlen, nur um Aufmerksamkeiten auf sich zu ziehen,
die sie dann mit Vergnügen zurückwies, aber stets liebenswürdig und mit dem höflichsten Bedauern.
»Monseigneur«, sagte sie, »folgt mir bitte. Meine Herrin erwartet Euch.«
»Madame«, sagte Richelieu, während er an ihre Seite trat, »es ist mir eine Freude, Euch wiederzusehen. Ihr werdet alle Tage
schöner.«
»Ach, Monseigneur!« sagte Madame de Guercheville und blickte zu ihm auf, denn er überragte sie um gut einen Kopf, »das ist
leider gar nicht wahr, Ihr schmeichelt mir. Wir werden alle älter.«
»Aber nein, Madame, wunderbarerweise entgeht Ihr diesem schlimmen Gesetz, und obwohl mein Stand mir verbietet zu schwören,
versichere ich Euch: Ich sehe Euch nach einem Jahr Abwesenheit in einer Frische und einem Glanz, die mich immer wieder bezaubern.«
»Aber, Monseigneur«, sagte Madame de Guercheville errötend, »was soll ich davon halten? Verträgt es sich wirklich mit Eurer
Robe, mir solche Dinge einzureden?«
»Madame«, sagte Richelieu lächelnd, »wenn sie Euch erzürnen, nehme ich sie zurück. Aber weil man Priester ist, muß man doch
nicht darauf verzichten, die Schönheiten zu bewundern, die der Schöpfer der Gefährtin des Mannes gegeben hat und die bei Euch
derart mannigfaltig sind, daß man ein Barbar oder ein Türke sein müßte, um sie nicht
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