Rosen für eine Leiche (German Edition)
war
zu der Zeit in München.«
Ich konfrontierte Priegel noch einmal mit dem Herbstfestmord und
hämmerte mit Worten auf ihn ein.
»Null«, sagte er.
Er beharrte auf null. Null Ahnung, null Gefühl, null Bock. Null am
Herbstfest gewesen.
»Ich war in München. Im Englischen Garten«, wiederholte er ein ums
andre Mal. »Ich war froh, mich mal wieder einfach rumtreiben zu können. Da hock
ich mich doch nicht in den Zug und fahr in die Provinz.« Er verschränkte die
Arme. »Ich bin unschuldig.«
Wir saßen uns gegenüber, einen Tisch zwischen uns. Neben mir hatte
ich ein kleines Regal in den Raum stellen lassen mit einem halben Meter
Aktenordnern darauf gestapelt. Die Ordner bestanden nur aus leeren Blättern.
Sein Name aber, » PRIEGEL «, stand dick und fett auf ihrem
Rücken. Frühere Tatortfotos hatte ich an die Wände heften lassen, gleich neben
ihm eines vom erschossenen Gerichtsvollzieher im Großformat. Die
Neun-Millimeter-Walther, die Chili im Baum gefunden hatte, lag auf der linken
äußeren Ecke des Tisches.
Die Ordner und die Fotos kümmerten Priegel wenig, doch zur Pistole
sprangen seine Blicke hin wie Funken aus einem Kaminfeuer. Priegel besaß ein
erotisches Verhältnis zu Waffen. Schon in dem Loch, das er bewohnte, als er
seiner Mutter ausgekommen war, hatte er ein Gewehr besessen. Wenn ihm danach
war, hatte er es zu sich ins Bett genommen wie eine Frau.
»Das ist Ihre Waffe, nicht? Sie sind stolz auf die Walther, können
es auch sein. Haben Sie eigentlich einen Waffenschein, Herr Priegel?«
Der Mann schwitzte nicht, sein Atem ging normal, er blieb gelassen.
Er zupfte an seinem Schnurrbart, rieb mit den Kuppen beider Zeigefinger über
die Platte des kleinen quadratischen Tischs zwischen uns.
»Haben Sie doch längst nachgeprüft«, gab er zurück und warf mir
einen weichen Blick zu.
Am anderen Tag ließ ich Priegel mitten in der Nacht wecken
und den Raum in dunkles, unsicheres Licht tauchen, einen Punktstrahler auf
seine Augen gerichtet. Zwei Beamte standen hinter mir.
»Vielleicht haben Sie einfach Hunger gehabt«, sagte ich. Ich wusste
um seine Vorliebe für Süßigkeiten. »Oder Appetit auf was Süßes. Ich könnt’s gut
verstehen, wenn Sie Lust auf einen Paradiesapfel gehabt hätten. Nach der langen
Zeit im Gefängnis.«
»Blödsinn«, sagte er. »Ich war in München. Spazieren im Englischen
Garten. Das mit dem Apfel ist in Rosenheim passiert.«
Ein Schwall üblen Geruchs aus seinem Mund erreichte mich. Ich lehnte
mich nach hinten weg. Dann nickte ich den Beamten zu. Sie verstanden. Das
Neonlicht an der Decke sprang flackernd an.
»Okay, Herr Priegel«, sagte ich. »Nehmen wir an, wir wüssten, in
welchem Teil der Erde Ihre Tochter lebt.«
Ich schwenkte den Punktstrahler. Sein Licht richtete sich auf ein
lindgrünes, längliches Tuch an der Wand gleich neben dem einzigen Fenster. Ich
zog das Tuch weg. Dahinter war ein hundert mal siebzig Zentimeter großes
Schwarz-Weiß-Foto. Es war die Frontalaufnahme einer schlanken schwarzhaarigen
Frau in den Zwanzigern mit ebenmäßigen Zügen und breitem Lachen.
Seine Augen weiteten sich. Schweißtropfen bildeten sich auf seinem
Gesicht.
»Nehmen wir ferner an, Sie könnten Bettina noch einmal sehen, bevor
Sie endgültig hier drinbleiben. Wär Ihnen das ein Geständnis wert?«
Ich stand auf, auch um dem geruchlichen Getöse aus seinem Mund zu
entgehen, und stellte mich vor das Bild.
»Sie haben den Mann in Rosenheim erschossen. Früher oder später
werden wir es Ihnen nachweisen, da können Sie Gift drauf nehmen.«
Ein Schlüsselbund fiel scheppernd hinter mir zu Boden. Der Beamte
fluchte leise.
Priegel war verheiratet gewesen, seine Frau hatte sich, ein knappes
Jahr nachdem er in Stadelheim eingebuchtet worden war, scheiden lassen. Aus
dieser Ehe stammte die Tochter. Soweit bekannt war, hatte er weder Frau noch
Kind danach je wieder gesehen.
Er stierte vor sich hin.
»Bettina«, flüsterte er so leise, dass ich es nur an seinem Mund
ablesen konnte.
Ich nahm noch einen entschlossenen Anlauf.
»Sie wissen genau, wenn’s zum Indizienprozess kommt, kriegen Sie
lebenslänglich mit anschließender Sicherungsverwahrung. Sie werden nie mehr
rauskommen. Die Stimmung in der Republik wandelt sich. Man spricht sogar von
einer Reform der Strafprozessordnung. Die Justiz wird härter, schärfer, die
Null-Toleranz-Praxis greift um sich. Bei einem Geständnis …« Ich musste
mich räuspern, zwei-, dreimal.
Priegel hatte sich in der Gewalt. Ich
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