Rosenmörder (German Edition)
bleibt er Profi.
Er erkennt blitzartig, dass er in eine Falle geraten ist. Und diese Falle hat
nichts mit der Polizei zu tun. Ihm ist bewusst, dass er gegen den Draht machtlos
ist, der sich in seinen Hals schneidet. Er versucht gar nicht erst, ihn mit den
Händen zu greifen. Wenn dir einer eine Garrotte von hinten um den Hals
schlingt, hast du keine Chance.
Kurz bevor ihm schwarz vor Augen wird, lockert sich der Druck.
Kosmos, sagt eine dunkle Stimme. Sie geht beinahe im
Hubschrauberlärm unter. Sieh mich an.
Vorsichtig dreht er den Kopf zur Seite und starrt in ein bekanntes
Gesicht. Es ist ein hartes, entschlossenes Gesicht. Die gebogene Nase, der
breite Mund, die traurigen Augen, das dichte schwarze Haar unter dem Rand einer
Baseballkappe. Das Gesicht zeigt nichts als Furchtlosigkeit. Ist er
wahnsinnig?, denkt Kosmos.
Du?, flüstert er mit letzter Kraft. Es sollen die letzten Laute
sein, die Kosmos von sich gibt.
Ja, ich.
Der Druck verstärkt sich und wird unerträglich. Er hat das Gefühl,
er würde schweben, dann wieder auf den Kopf gestellt. Er will die Hände
bewegen, aber sie sind taub. Er spürt seine Füße nicht mehr. Er will schreien,
aber er bringt keinen Ton heraus. Sein Blut gefriert. Kosmos schließt die Augen
und wartet darauf, dass sein Ende kommt.
Wenige Sekunden später ist Kosmos tot.
Es ist Samstag, der 3. Oktober 2009.
Tag der Deutschen Einheit.
Teil 3
Die Insel
Chili
Offiziell bin ich tot. Das soll dem
Täter oder den Tätern vorgaukeln, dass es nicht nötig sei, noch einmal
nachzusetzen. Manchmal wünsche ich mir, ich wäre wirklich tot. Erst mal, weil
das so natürlich kein Leben ist. Eine Woche bin ich jetzt hier drin, glaub ich,
und hab immer noch keine Sicherheit, zu überleben. Und wenn ja, wie? Sie
behandeln mich wegen Schusswunden. Sie sollten mich aber wegen Depressionen
behandeln. Ich glaub, sie tun’s sogar. Unbemerkt.
Draußen findet das Leben statt. Es ist ein
wunderschöner Herbst. Wenn sie mich in meinem Krankenbett zum Fenster schieben
und ich nach Süden schau, merke ich zwar deutlich, dass die Schatten länger
werden, und abends senkt sich eine fahle Dämmerung herab. Himmel, Berge und
Landschaft verschwimmen dann in diffusem Licht. Der goldene Oktober gibt seine
Visitenkarte ab. Doch am Wochenende rennen die Menschen in der Früh auf den
Berg, und mittags nutzen sie jede freie Minute in der Sonne. Sie sitzen vorm
Haus, auf dem Balkon, im Biergarten. Mei, muss das Leben schön sein da draußen!
Trotzdem bin ich mir nicht sicher, wie ich mich
fühlen würde, wäre ich frei. Kemal ist tot. Herr Huber ist tot. Bürgermeister
Engel, die Wirtin sind tot. Innerhalb unglaublich kurzer Zeit.
Selbst in meiner noch jungen Dienstzeit hat sich
die Kriminalität drastisch verändert. Während meiner Ausbildung gab’s hier in
der Region vielleicht ein, zwei Tötungsdelikte im Jahr, Kapitalverbrechen wie
die aktuellen kamen nur in der Großstadt vor. Da hat’s noch Freude gemacht, zu
ermitteln. Der Bauer ersticht seine Frau im Rausch. Der Einbrecher schießt,
weil er überrascht wird. Ein Schädelbruch beim Herbstfest, und der Italiener
stirbt an einem Maßkrug. Einer alten Dame wird die Handtasche entrissen. Aber
heute? Eltern lassen ihre Kinder verhungern. Dreizehnjährige vergewaltigen
Fünfzehnjährige. Vorgestern haben sie mir aus der Zeitung vorgelesen, dass ein
drogensüchtiges Pärchen zwei Obdachlose ermordet, verscharrt und wochenlang
ihre Hartz- IV -Unterstützung
kassiert hat. Der einen Leiche fehlte ein Daumen, der anderen der Skalp. Bei lebendigem
Leib abgezogen, wahrscheinlich im Drogenrausch. Der erste Amoklauf an einer
oberbayrischen Schule ist nicht mehr weit.
Richtig gemütlich war’s, als die Welt des
Verbrechens aus Bankraub, Betrug, Autodiebstahl und Fahrradklau bestand. Und
dem jährlichen Totschlag aus Eifersucht.
Ein Russe soll der Täter sein. Jedenfalls haben
wir seine DNA , sagt Ottakring.
Sie soll mit der, die sie an allen Tatorten gefunden haben, übereinstimmen.
Auch mit der, die Kemal und mich betrifft. Wir werden also leichtes Spiel
haben. Wir müssen ihn nur noch finden.
Frau Toledo. Besuch für Sie. Wie fühlen Sie sich?
Ich hab mich nie besser gefühlt. Ich könnte Köpfe
abreißen.
Ich dreh mich zur Seite. Zur Tür hin, wo die
Schwester steht.
Wer?
Na, wer wohl?, sagt sie. Ihr großer Bruder
Ottakring.
Nein, unmöglich, scherze ich. Das passt mir grad
gar nicht. Ich bin beschäftigt.
Draußen streckt eine Polizistin den Kopf
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