Rosenmörder (German Edition)
vierzehn Uhr
klopfte er an die Tür zum Vorzimmer und wurde sofort ins Bürgermeisterzimmer
durchgewinkt.
Ein Büro wie vor hundert Jahren, alles in dunklem Holz. Der
geschnitzte Schreibtisch, die geschnitzte Kommode, der gedrechselte Schrank,
selbst der Stuhl, auf dem Wildschitz residierte, hatte eine schulterhohe, reich
geschnitzte Rückenlehne. Die schneebedeckte Kampenwand als Ölgemälde an der
Wand. Der einzige Farbtupfer war ein dunkelvioletter Dahlienstrauß auf einem
dunklen Holztischchen in der Ecke.
»Was führt Sie her, Herr Ottakring?« Der Bürgermeister trug einen
grünen Janker und Krawatte.
Wie oft hatte er diesen Eröffnungssatz schon gehört? Was sollte den
Chef der Mordkommission nach einem halben Dutzend Kapitalverbrechen schon in
dieses gastfreundliche Haus führen? Er sandte einen seiner bösesten Blicke über
den Schreibtisch und hielt Wildschitz den eingeschweißten Dienstausweis unter
die Nase.
»Ihr Name?«, fragte er.
»Mein Name? Wir kennen uns doch. Mein Name steht auch draußen an der
Tür.«
»Die gleiche saublöde Frage wie die Ihre«, sagte Ottakring scharf.
»Lassen Sie uns wie unter erwachsenen Männern reden. Sie, der Bürgermeister von
Aschbach. Ich, der Kriminalrat und Chef des Mordkommissariats in Rosenheim.
Okay?«
Wildschitz wurde noch eine Spur blasser und nickte schwach.
»Gubkin. Felix Iljitsch Gubkin führt mich her, Herr Bürgermeister.«
»Sie meinen, er hat Sie zu mir geschickt?«
Ottakring schüttelte den Kopf. »Ich hab Sie bei Herrn Gubkin im
Grattenschlösschen angetroffen. Das mag normal sein in Ihrem Amt als
Bürgermeister. Muss aber nicht. Ich will alles über Gubkin wissen, was Sie von
ihm wissen.«
»Warum? Ist er denn verdächtig?«
»Ich kläre auf. Ich verdächtige nicht notgedrungen.«
»Möchten Sie was trinken? Einen Kaff…«
Nein, etwas rauchen, hätte Ottakring am liebsten gesagt. »Nein, ich
will nur Ihre Antworten. Am liebsten gleich ein paar hintereinander. Also,
Gubkin. Sie stehen mit ihm in Verhandlung. Was wissen Sie über ihn? Wie
schätzen Sie ihn ein?«
Nach dieser Ansprache lehnte sich der Kriminalrat zurück, faltete
die Hände auf dem bürgermeisterlichen Tisch und ließ einige Sekunden
verstreichen. In Gedanken war er bei der Observation, die er vor dem
Grattenschlösschen hatte einrichten lassen.
Ein Einsatzfahrzeug, modernst ausgestattet. Zwei mobile Trupps, die
in der Lage waren, auch hohe Bäume zu besteigen. Ein SAR -
Hubschrauber mit Wärmebildkameras, der wie zufällig das Gebiet überflog. Dazu
Durchsagen im Radio und lokalen TV ,
die eine Vermisstensuche im Gebirge vortäuschten.
Gubkin. Felix Gubkin. Und seine Frau Nadeschda. Welche Rolle
spielten sie in Wirklichkeit? Er würde ihnen auf die Schliche kommen. Er musste
es. Und zwar bald.
»›Kann sein, dass ich dich bald mal anrufen werde.
Vielleicht gibt’s Arbeit für dich‹«, zitierte Eva M. »So oder so ähnlich
hast du dich ausgedrückt. Was hast du damit gemeint? Hast du bei unserer
zufälligen Begegnung schon gewusst, dass etwas passieren wird? Dass das Licht
deiner lieben Schwester Matilda ausgelöscht wird?«
Eva M. betrachtete ihre Bekannte von der Seite.
Penelope alias Schwester Caroline presste die Lippen fest
aufeinander. Die Hände hatte sie vor der Brust gefaltet.
Sie gingen nebeneinanderher, den Inselrundweg entlang nach Norden.
Bald würden sie die Stelle erreichen, an der Wimmerl II die tote Matilda aufgespürt hatte.
»Natürlich nicht«, sagte Penelope. »Das konnte niemand wissen. Das
war ein Schlag für uns alle.« Sie blieb stehen.
Eva M. stellte sich vor sie hin. Eine Möwe sauste im Sturzflug
dicht über ihre Köpfe.
»Ich kenne Kosmos«, sagte Penelope. Ihre Augen versenkten sich in
Eva M.s Augen.
»Kosmos ist tot«, sagte Eva M. Sie unterdrückte ihre Überraschung.
»Er starb am Samstag.«
»Ich kannte Kosmos«, verbesserte sich die Schwester ruhig. »Von
früher kannte ich ihn. Deswegen wollte ich dich sprechen. Ich konnte mir ja
denken, dass du an dem Fall arbeitest.«
»Das tue ich. Hier bin ich. Sprich, Schwester.«
»Versprechen Sie mir, dass Sie die Angelegenheit mit einer
gewissen Diskretion behandeln werden? Meine Situation ist nicht ganz einfach.«
Wildschitz rutschte unruhig auf seinem geschnitzten Stuhl hin und
her. Er wechselte immer wieder die Haltung, und sein Blick flatterte über den
Boden, als suche er dort etwas, was er verloren hatte.
Weswegen war der Mann so aufgeregt?
»So diskret wie
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