Rosenrot
von seiner Vergangenheit, von dem Anlass dafür, dass er seit einer Reihe von Jahren hier in der Psychiatrie sitzt. Und etwas sagt klick in Lundmark, er schaltet. Er versteht, was in jenem Halbjahr geschehen ist, als Kerstin verreist war und danach zurückkam und Schluss machte. Und er dreht völlig durch. Sie hat sein Kind gestohlen und es getötet.
Die Parallele war greifbar. Die zweite Passage aus dem Brief würde perfekt auf beide passen, auf Ragnarsson und Lundmark. ›Ich und meine Geliebte schufen etwas Schönes.. .‹ Dagegen ist die erste Passage Lundmarks eigene. Er ist sich bewusst, dass er es war, der Kerstin mit seinem Saufen und seinem Sexualverhalten von sich gestoßen hatte.
Ola Ragnarssons Selbstmordbrief war eine Mitteilung an Kerstin Holm. Genau wie der Zettel in der Brieftasche des ermordeten Max Sjöberg. Beide richteten sich direkt an Kerstin. Und am Schluss hatte sie angebissen.
Aber sechs Monate für eine Abtreibung?
Es nahm Form an. Es nahm verdammt noch mal Form an.
Max Sjöbergs Brieftasche. Der Zettel mit dem Zitat aus dem Hohenlied, das auf etwas zeigte. Das nicht begraben war. Das Tote, das auf Leben zeigte.
Er lief zum Fax. Der Papierhaufen aus Trelleborg lag noch da. Nicht angerührt.
Idiot.
Er suchte wild. Da. Am Ende.
Anders Sjöberg. Im April 1994 von dem kinderlosen Landwirtpaar Max und Rigmor Anders adoptiert. Im Alter von zwei Wochen beim Sozialamt in Malmö abgegeben. Anonym. In einem verdammten Korb. Zwei Wochen später von Sjöbergs aus Anderslöv adoptiert.
O Herrgott.
Er rief beim Einwohnermeldeamt an. Nein, eine Kerstin Holm mit dieser Personennummer hatte keine Kinder geboren. Das war amtlich.
Er durchwühlte seine Schubladen und grub einen Umschlag der Polizei in Trelleborg aus. Fotos. Das Weihnachtsessen. Sechs Menschen um einen Weihnachtstisch in einer großen Bauernküche. Alle tragen Weihnachtsmannmützen und lachen. Zwei Männer, zwei Frauen und zwei Kinder, zwei Jungen im Alter von sieben und zehn Jahren.
Er fixierte den Siebenjährigen. Es war kein gutes Bild. Er war kaum zu erkennen. Aber es gab auch noch ein Schulfoto. Und da sah man es. Wenn er dem Bild mehr als einen flüchtigen Blick gewidmet hätte, wäre es ihm vielleicht früher aufgefallen. Die blonden Eltern Sjöberg konnten keinen so dunklen Sohn haben.
Das dunkle Haar war Kerstin Holms, und ein Zug um die Augen kam ihm sehr bekannt vor. Und das Kinn war ihres.
Dafür waren der Mund und die Nase Dag Lundmarks.
Paul Hjelm hielt einen Moment inne.
Anders Sjöberg war eindeutig Kerstin Holms Sohn. Und Dag Lundmarks.
Und Lundmark hatte ihn geholt. Er war zu den Sjöbergs gegangen, während sie für die Griechenlandreise packten, hatte sich als Polizist ausgewiesen und, tja, sie vor Einbrechern gewarnt oder was auch immer. Sie hatten Kaffee gemacht. Er schüttete Talliumsulfat in ihren Kaffee.
Dann holte er Anders Sjöberg.
Anders Sjöberg, sieben Jahre alt, war nicht tot.
Noch nicht.
Sollten Kerstin und ihr verdrängter Sohn zusammen sterben? Sollten sie alle drei – die ganze zerrissene Kleinfamilie – zusammen sterben? War das Dag Lundmarks Plan? Sah so seine Rache aus? War das seine ›Liebe‹?
Er schloss einen Moment die Augen. ›Wenn es passiert, dann lass mich nicht im Stich.‹
Nein. Nein. Nicht ums Verrecken.
Eine Nummer auf dem Haustelefon.
»Sara«, sagte Sara Svenhagen.
»Komm zu mir rüber, Sara. Ich hab‘s.«
Und Sara Svenhagen kam. Er ging auf sie zu und nahm ihre Arme. Er zeigte auf die kleine Wölbung ihres Bauchs. »Anders Sjöberg ist ihr Sohn. Sieh mal hier.«
Sara schaute verwirrt auf das kleine Schulfoto.
»Tja«, sagte sie. »Vielleicht. Es würde ihre Freude erklären, als sie mich an jenem Morgen vor hundert Jahren im Umkleideraum in den Arm genommen hat. Irgend etwas in ihr hat sich erinnert. Was hast du gefunden?«
»›Ich und meine Geliebte schufen etwas Schönes – aber die, die mich liebte, verbarg es vor mir, zog das Schöne in den Schmutz und warf es fort.‹«
»Ragnarssons Abschiedsbrief ...«
»Sie war im Winter 93-94 ein halbes Jahr beurlaubt. Als sie den da nicht mehr verheimlichen konnte.«
Wieder zeigte er auf Saras Bauch.
»Nenn das nicht ›den da‹«, sagte sie irritiert.
Er ignorierte es und fuhr fort: »Sie wollte keine Abtreibung vornehmen lassen, aber es durfte auf gar keinen Fall passieren, dass der versoffene Gewalttäter Dag Lundmark irgendeinen Einfluss auf ihr Kind bekam. Lieber gab sie es weg. Ans Sozialamt in
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