Rosenwahn
Kollegen mit und schob sein Handy zurück in die Hosentasche.
Fast eine halbe Stunde dauerte es noch, bis sie dem Stau entronnen waren und den Weg in die Gegenrichtung antreten konnten. In der Garageneinfahrt eines weißen Hauses am Kremper Weg stand ein Streifenwagen, daneben warteten zwei Uniformierte und ein älterer Mann im Blaumann.
»Moin«, grüßte der eine Beamte. »Das ging ja schnell. Hier, der Willi Kaminski, der hat angerufen. Der zeigt Ihnen die Bescherung.«
Der Angesprochene nickte nur und stapfte ohne weitere Erklärung in seinen Gummistiefeln sofort los. Der eine Streifenbeamte und die beiden Kommissare, die etwas überrascht schauten, folgten ihm hinter das Haus, das auf dieser Seite noch zwei weitere Stockwerke aufwies, da es an einem Hang lag. Es verfügte auf jeder Ebene über eine Terrasse und großzügige Glasfronten und war viel geräumiger, als sein Anblick oben an der Straße vermuten ließ. Daran schloss sich ein weitläufiges Gartengrundstück an, das sich den ganzen Hang nach unten zog und an einem berankten Zaun endete.
»Das Neustädter Binnenwasser«, erklärte Willi Kaminski und blieb stehen, als er die Blicke der beiden Kommissare auf die weite Wasserfläche bemerkte, die sich unterhalb des Hanges hinter einem Wäldchen ausbreitete. Angermüller schätzte Kaminski auf Mitte bis Ende 60. Er war ein drahtiger Typ, offensichtlich an körperliche Arbeit gewöhnt, und hatte zwei beeindruckend große Hände.
»Ist schön, nich, unser Binnenwasser?«, fragte der Streifenpolizist stolz. »Das ist alles schon seit über 20 Jahren Naturschutzgebiet. Hier gibt’s Uferschnepfen, Flussseeschwalben und andere seltene Vögel. Außerdem rasten hier viele Wildgänse und …«, der Beamte unterbrach sich. »Aber deswegen sind Sie ja nicht hier.«
Angermüller nickte. Bisher hatte er den See immer nur von der Autobahn aus an sich vorbeiziehen sehen, die im Nordwesten in einem großen Bogen um Neustadt verlief. Von hier oben hatte man eine wunderbare Aussicht auf das Gewässer und noch weiter in die sanfte ostholsteinische Hügellandschaft. Rechterhand, die Anhöhe in der Ferne mit dem Sendemast, musste der Bungsberg sein, dachte Angermüller, mit 168 Metern schon die höchste Erhebung seiner Wahlheimat Schleswig-Holstein. Vor der Sonne hingen jetzt trübe Schleier, und die Schwüle hatte noch zugenommen. Das Wetter schien umzuschlagen.
»Da unten isses«, sagte Kaminski plötzlich unvermittelt, deutete ans Ende des Gartens, wo eine Art Laube zu stehen schien, und trottete wieder los. Die drei folgten ihm den gepflasterten Weg hinunter, der braun und an manchen Stellen ziemlich rutschig war vom Erdreich, das der Regen in der Nacht aus den weiter oben liegenden Beeten herausgewaschen hatte.
»Da wären wir.«
Sie waren in der rechten äußeren Ecke des Gartens angelangt, wo ein altmodischer Gartenpavillon stand. Ein mannshoher Flechtzaun aus Holz begrenzte das Grundstück sowohl in Richtung Wasser als auch zum Nachbarn.
»Wohin führt die Tür da im Zaun?«, fragte Jansen.
»Zum Schulwald und zum Binnenwasser«, antwortete Kaminski und schob den Riegel zurück. Ein Steg führte über einen kleinen Graben auf einen Schotterweg.
»Manchmal komm ich auch von hier in den Garten. Is praktischer, wenn ich viel zu schleppen habe«, erklärte er noch und schloss die Tür wieder.
Der Hang, an dem das Haus lag, lief hier unten ziemlich steil aus und endete in einem Beet, das mit einem Steinwall eingefasst war. Alle möglichen Blumen und Kräuter wuchsen darin. Auf einmal stieg Angermüller ein wohlbekannter Duft in die Nase, und dann sah er sie. Die Rosa alba lehnte an dem dunkelbraunen Holzzaun, als ob sie sich von ihm Unterstützung erwartete. Ihre Zweige trugen schwer an den zahlreichen üppigen Blüten. Blütenblätter waren rings um den Rosenbusch verstreut. Das nächtliche Gewitter schien hier heftig gewütet zu haben. Ein Teil der befestigten Böschung des Beetes hatte den Fluten nicht standgehalten und war abgesackt. Die losen Steine hatte jemand ordentlich auf einen Haufen geschichtet.
»Nee«, schüttelte der Uniformierte den Kopf, »hätt ich nie gedacht, dass wir so was mal in Neustadt haben würden.«
Kaminski sagte gar nichts und nahm nur die fleckige Plane weg, die er über die auf der Erde liegende Schaufel gebreitet hatte. Wegen seiner graubraunen Farbe hätte man das Ding, das auf dem Blatt des Spatens lag, für eine überdimensionale faule Kartoffel mit Löchern und Riefen
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