Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Rost

Titel: Rost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Meyer
Vom Netzwerk:
hatte, ging es durch schütteren Wald weiter, weg vom
Nordende des Parks und von der Straße, wo er den Baron gejagt hatte. Wo hast du
deinen Rucksack liegen lassen? Wo ist diese Lichtung?
    Auf der anderen Seite des Kanals befand sich eine große Grünanlage,
weiter oben konnte er auf seiner Seite jetzt erkennen, wo die Bäume endeten –
an einem grasigen Gelände hinter einer Häuserreihe. Hinter dir liegt der
Rucksack. Weißt jetzt wieder, wo er ist. Von ferne kamen weitere Sirenen, und
die in der Nähe waren schon verstummt. Wie viele Autos sind das, dachte er.
Sechs. Oder sieben. Mann mit Messer – das bist du. Du musst jetzt weiter, für
den Rucksack keine Zeit.
    Verzweiflung überwältigte ihn. Muss kurz nachdenken. Hier kann mich
keiner sehen. Gut, der Rucksack ist verloren – akzeptier das. Ändere dein
Aussehen, sie haben einen Anorak gesehen, eine blaue Wollmütze. Gut, dachte er,
das ist ein Fortschritt. Rasch zog er den Anorak aus, nahm die Mütze ab, in den
Kanal damit, das Messerfutteral gleich hinterher. Schon besser – brauner
Sweater und darunter ein blaues Flanellhemd. Steck das Hemd rein, zieh den
Kragen über den Pullover. Schuljungenlook. Gott, so ist es ja noch kälter.
Minus 4 vielleicht. Na, lieber so als festgenommen.
    Er stand wie betäubt ein paar Sekunden da, betrachtete die Häuser
vor sich und das Blaulicht hinter ihm, am Parkrand aufblitzend. Vergiss den
Rucksack, sagte er sich wieder. Wenn du ohne Handschellen hier weg kommst, ist
das schon der beste anzunehmende Fall. Ordne die Gedanken. Und geh nicht zu
schnell.
    Vom Wald erreichte er das offene Gelände, fünfzig Meter von der
Reihe Einfamilienhäuser weg. Ganz lässig eine kleine Runde drehen. Morgenluft
macht klar im Kopf. Ich hoffe bloß, dass keiner aus dem Fenster guckt. O Mann,
du hättest es nicht schlimmer treffen können – großer Park gleich gegenüber.
Einen Kilometer freie Sicht. Sieh nicht nervös aus. Bete, dass das alles
Spätaufsteher sind. Er wird behaupten, dass du Jagd auf ihn gemacht hast, mit
dem Messer, Mordversuch. Wer wird dir glauben? Hättest du’s erst gar nicht
mitgenommen.
    Du bist dumm. Er spürte Tränen aufsteigen. Du hättest weggekonnt,nachdem du das erste Mal aufgewacht warst, und dann hättest du das Geld noch
und die Kladden und auch alles andere. Ich war so müde, dachte er. Nein, du
warst dumm. Das ist das zweite Mal. Jetzt keine Fehler mehr.
    Da auf der anderen Seite lag ein großer öffentlicher Pavillon, zwei
Frauen joggten. Zeuginnen. Bloß dass der Kleine durchkommen wird. Weigert sich,
bei irgendwas den einfacheren Weg zu nehmen. Ist zu weit, um dein Gesicht zu
sehen. Noch mehr Blaulicht aus dem Trailerpark – die sind dir auf den Fersen.
    Er befand sich in der Nähe eines großen Lagerhauses, von der Mauer
kam der Widerschein des Blaulichts, und er drehte sich um, auf der anderen
Seite des Parks, ein paar hundert Meter weit weg, fuhr ein Streifenwagen
langsam quer über den Rasen, auf die Joggerinnen zu. Kann er dich sehen? Nein.
Wegrennen oder -gehen? Einfach weitergehen.
    Er verschwand hinter dem Bau und ging an dem Kanal entlang, doch auf
der anderen Seite standen noch mehr Häuser, er erkannte deutlich einen Mann in
seiner Küche, der am Tresen stand und Kaffee trank, in Boxershorts. Die
Frühaufsteher werden dich noch reinreißen. Er sieht dich nicht. Versunken in
die eigenen Sorgen.
    Ein paar hundert Meter weiter nahm er eine Bockbrücke, sie führte
die Bahn über den Kanal, die Schneise reichte für ein halbes Dutzend Gleise. Du
befindest dich jetzt südlich des Stahlwalzwerks. Wird schon alles klappen.
Bleib nur auf den kleinen Straßen, dann wird alles klappen. Sieh sie, bevor sie
dich sehen.
    ***
    Er war etwa eine Stunde lang gelaufen, als er einen breiten
Boulevard erreichte, vor ihm lag ein Einkaufszentrum, viele Autos im Berufsverkehr,
es war ein trüber Tag. Noch schlimmer als im Mon-Tal. Der April schon halb
vorbei, und immer noch so winterlich.Und bitte sehr, da kommt ein Bus. Mit
vielen Leuten. Das ist dein Bus. Überquer die Straße, und du wirst es schaffen,
wo hast du dein Portemonnaie?
    Er trabte rüber, kam zum Bus und stellte sich in die Schlange. Ein
paar Leute drehten sich um und musterten ihn. Keine Jacke und die blauen
Flecken im Gesicht, na, der wird kaum was Gutes im Schild führen, so was
riechen die. Hemd und Pullover krumpelig, die Hosen schmutzig. Ganz zu
schweigen, dass du Weißer bist. Er zwang sich, einen Fleck am Boden zu
fixieren, und bald

Weitere Kostenlose Bücher