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Rost

Titel: Rost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Meyer
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hörte auch das Starren auf. Ein durch die Nase und aus durch
den Mund. Der Kleine Mörder auf dem Weg gen Süden. Ein komplettes Polizeirevier
auf seinen Fersen, und er hängt sie alle ab. Wie Der Schakal .
Besteigt mal eben einen Bus.
    Die Sitzplätze waren besetzt, drum stellte er sich in den
Mittelgang. So warm hier drin. Wo steig ich aus? Und wie viel Geld hab ich? Er
dachte angestrengt nach. Neun. Neun Dollar nach dem Busfahrschein. Das reicht
für ein paar Mahlzeiten. Du fährst jetzt bis zur Endstation – so weit wie
möglich weg. Der Bus tuckerte ewig weiter, es ging langsam, und er wurde
schläfrig. Leute stiegen aus, er konnte sich hinsetzen. Etwas später merkte er,
der Bus hatte sich länger schon nicht mehr bewegt. Er schlug die Augen auf, der
Bus war leer, der Fahrer sah ihn durch den großen Spiegel an. Isaac nickte und
stieg aus. Schaute sich um.
    Wie weit bist du gekommen? Fünfzehn Kilometer vielleicht. Andere
Welt hier. Alles war sehr grün, die Häuser groß, mit Hecken oder Steinmauern um
ihre Gärten. Er passierte Sportplätze, Bauten aus Stein und irgendeine Schule.
Ein paar Jungs in blauen Blazern, vierzehn oder sechzehn, rauchten in der
Pause. Als er ihnen zunickte, schauten sie alle weg, bis auf den ältesten. Am
besten gäb’s dich nicht. So hätten sie das gerne. Deinetwegen fühlen wir uns
unwohl, Schluss damit.
    Einen Block weiter blieb er stehen und betrachtete sein Spiegelbild
in einem Autofenster. Überraschung, du siehst kein Stücksauberer aus. Nach
einem Straßenjungen siehst du aus. Was du auch bist.
    Er hielt die Augen offen, ob er Cops sah, aber nichts passierte.
Wieder hungrig. Ist egal. Er streifte ziellos durch die Straßen, bog willkürlich
hier und dort ab und versuchte, an dem trüben Himmel irgendwie den Stand der
Sonne zu erraten, immer in Bewegung.
    ***
    Als es Nacht wurde, befand er sich auf einer breiten
Schnellstraße, der Berufsverkehr ging zu Ende, und man sah kein Licht, nur von
den Autos, Scheinwerfer und Rücklichter, er konnte all die Leute sehen, die im
Warmen saßen, glücklich. Bohrten in der Nase, sangen mit, zum Radio. Sie sehen
dich nicht. Billiger Pullover, den du anhast, wo der Wind glatt durchschneidet.
Er war vor Kälte ganz benommen. Wenn nur einer von ihnen jetzt mit dir tauschen
würde … Drinnen, draußen, nur ein kleiner Unterschied, könnte man meinen.
    Dieser Wind, dachte er. Hätte ich die Mütze und den Anorak mal bloß
behalten. Ist mir wirklich so kalt? Bist bloß müde und hast Hunger. Dabei hast
du gestern Abend was gegessen, reicht doch, kalorienmäßig. Ein Tag ist noch gar
nichts. Du musst rausfinden, wo du jetzt bist. Ich kann schon nicht mehr
denken. Das ist mein Problem. Ich hätte irgendwo anhalten und was essen müssen,
fühlte sich aber nicht sicher an. Dieser Highway – müsste Boxen haben, so mit
Essen und mit Decken für die Leute, ähnlich wie die Notrufboxen. Halt doch einfach
einen Wagen an. »Mein Herr, ich würde gerne Ihre Jacke mieten. Oder auch den
Rücksitz Ihres Wagens – Ihre Heizung läuft ja sowieso. Bis morgen, länger
nicht.« So fühlt es sich wohl an, wenn man verrückt ist. Wenn das Einfachste
auf einmal keinen Sinn mehr hat.
    Dass du jetzt hier bist – deine Wahl. Du hättest ihn aufhalten können.
Als er seine Hand in deiner Tasche hatte, hättest du ihnmit dem Messer
kriegen können, doch stattdessen greifst du bloß nach seiner Jacke. Hättest
immer noch dein Geld und deine Sachen, keiner hätte was verloren. Ein fataler
Fehler, auf die Hand statt auf das Messer zu setzen. Neun Dollar, ohne Jacke.
Und der andere schläft im Hyatt. So viel Geld hat der noch nie gesehen.
    Und jetzt kommt die Wahrheit: Du wirst hier erfrieren. Du bist immer
schon frühreif gewesen, zu früh dran auch hier, das passt. Das Universum
verlangt Gleichheit. Keinem Menschen soll es wärmer als die Luft sein. Und kein
Mensch soll seine Wärme horten. Hat sie anfangs eh gestohlen – seit dem Großen
Knall keine Veränderung in punkto Energie. Vorübergehend ausgeliehen. Durch die
Wärme meines hinscheidenden Körpers wird die Erdtemperatur um ein Billiardstel
eines Grades steigen. Nachweisbar mit den empfindlichsten Geräten. Sanfteste
Art abzutreten. Manche sagen auch Ertrinken, aber das ist undenkbar – an Wasser
zu ersticken –, frag mal deine Mutter. Und wie lang? Das wirst du wissen, wenn
dir warm wird. Von der Wärme kommend und zurück dorthin.
    Er ging an einer Einkaufspassage vorbei, die war verlassen, leer.
Wär

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