Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Rost

Titel: Rost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Meyer
Vom Netzwerk:
schwul war«, sagte Joelle.
    »Das kannst du nicht.«
    »O doch, das kann ich.« Sie hielt die Zeigefinger ein ganz
stattliches Stück auseinander. »Und natürlich hat der Arsch mich nicht mehr angerufen,
nachdem er mich rumgekriegt hatte.«
    Lee spürte, wie ihr Gesicht heiß wurde.
    »Na, ich bin sicher, jetzt wäre er froh, wenn er mit irgendeiner von
uns dürfte. Der wird lange keine Frau mehr zu Gesicht kriegen.«
    »Mir tut er leid«, sagte Joelle.
    »Glaubst du, er hat’s getan?«, sagte Lee. Sie fühlte sich schuldig,
dass sie danach fragte, und musste den Blick abwenden, aber keine von den
beiden registrierte es.
    »Wer weiß?«
    »Er hat Rich Welker mal zu Brei geschlagen, der’s zwar absolut
verdient hatte, aber es fiel schon auf, dass er ihn härter schlug als nötig.«
    »Und den Jungen, wegen dem er letztes Jahr verhaftet wurde.«
    »Stimmt, den auch«, sagte Joelle.
    Lee nickte, trank von ihrem Weißwein, der sehr süß war.
    »Hast du je daran gedacht, wieder zurückzukommen oder so?«
    »Ich glaube nicht«, sagte Lee. »Jedenfalls nicht bald.«
    »Na Gott sei Dank«, sagte Joelle. »Wenn du das machen würdest, könnt
ich’s mit dem Sex gleich bleibenlassen.«
    »Du bist so was von ’ner Nutte«, sagte Christy.
    Lee zog ihre Augenbrauen hoch und lächelte.
    »Nee, ist ja bloß ein Witz, hier rennen nur dieselben Fressen rum,
schon seit der dritten Klasse. Wenn du in der Schulzeit einen ranlässt, weißt
du gleich, es ist ein Fehler, und fünf Jahre später ist sonst keiner da, die
Bar macht auch schon zu, du tust es wieder. Dann, zehn Jahre später, hast du
ihn geheiratet. Guckt unsere Mütter an, und heute ist es noch viel schlimmer.
Alle, die was draufhaben, gehen weg.«
    »Und ihr, meint ihr, das macht ihr jemals?« Lee bereute sofort, das
gesagt zu haben, aber Christy und Joelle zuckten bloß mit den Schultern.
    »Glaube kaum. Wahrscheinlich werde ich hier arbeiten, bis ich tot
umfalle.« Joelle beschrieb mit ihrer Hand eine Bewegung, die die ganze Bar
umfasste. »Während sie sich um die Spastis kümmert.«
    »Ja. Behindert wegen Alkohol im Mutterleib.«
    »Wir arbeiten da praktisch Hand in Hand.«
    Sie lachten beide.
    »Aber echt, es ist nicht schlimm. Wenn dir das Auto auf der Straße
verreckt, weißt du, dass du höchstens zwei Minuten warten musst, bevor einer
vorbeikommt, den du kennst. Du fällst hier nie besonders weit raus.«
    »Ihr zwei solltet mich besuchen kommen«, sagte Lee. »Wir könnten
nach New York fahren.«
    »Das fänd ich gut«, sagte Joelle.
    »Komm, bitte«, sagte Christy.
    »Nein, ernsthaft«, beharrte Joelle. »Ich hab mal mit Jon-Jon so eine
Kreuzfahrt nach Jamaica gemacht, ich bin nicht wie du. Ich bin eher eine
Abenteurerin.«

3 . Harris
    Er verließ den Trailer und fuhr auf direktem Weg zum
Polizeirevier, er dachte, das hat sie vielleicht die ganze Zeit von dir
gewollt. Nur, falls es schlecht ausging, würden sie beide, er und Billy Poe, in
diesem Knast sitzen. Ob es für alle besser wäre, wenn er Billy einfach vor Gericht
erscheinen ließe? Murray Clark war nur ein Säufer, der bei den Geschworenen
kaum einen guten Eindruck machen würde. Ganz zu schweigen davon, dass der
Staatsanwalt, falls jetzt dem guten Murray etwas zustieße, Himmel und Erde in
Bewegung setzen würde, um herauszufinden, was passiert war.
    Murray Clark hatte gleich zwei Brownsville-Adressen angegeben –
Harris hatte auf dem Polizeirevier von Uniontown kurz in die Akte reingeschaut
und war aufs Klo gegangen, um sie aufzuschreiben. Damals wusste er nicht, warum
er das tat, Informationen sammeln, der alte Instinkt. Ich langweile mich,
dachte er. Sein Kopf fühlte sich wattig an, und er bemühte sich, beim Fahren
konzentriert zu bleiben. Er suchte Rechtfertigungen.
    Das wird wohl das Schlimmste, was du je getan hast, dachte er. Ich
will nur mit ihm reden, wiederholte er bei sich. In grauer Vorzeit, als er ein
Marine gewesen war, hatte er in Da Nang mal einen Mann erschossen. Wenn er
jetzt dabei war, eine Sünde zu begehen, war das damals auch eine gewesen.
Immerhin hätte es heute einen Sinn. Seinem Gefühl nach hatte er doch meist das
Richtige getan, man konnte das aber auch anders sehen. Er hatte gelogen, damit
Leute ins Gefängnis kamen, und er hatte vor Gericht schon oft gelogen. Niemals
in Bezug auf das, was irgendwer getan hatte, er hatte keinem je eine Tat
angehängt, der sie nicht auch begangen hatte. Nein, er hatte eher gelogen, umseine Instinkte zu rechtfertigen, warum er einen

Weitere Kostenlose Bücher