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Rost

Titel: Rost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Meyer
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gleich nach Hause gehen. Er stand da und dachte nach.
Nein. Weiter, los.
    Er ging zurück und gab dem Mann den Schein, es war ein Zwanziger,
und dieser, zu ihm hochsehend, zögerte kurz, bevor er annahm. Isaac sah, dass
er jung war. Schmutziges Gesicht, vielleicht ein Junkie. »Danke dir«, sagte er.
    »Kein Problem«, antwortete Isaac und ging weiter. Es wird Zeit, den
Zug zu nehmen, für die große Flucht. Er sammelte sich, ging in Richtung
Kokerei, der Wind hatte gedreht, und der Geruch war schlimm. Stadt der Gebete stand auf einem Schild, und noch
mehr alte schöne Häuser, die verrammelt waren, dunkle Straßen, Trümmer einer
älteren Art. Wie ging noch der Witz? Ein Junge und ein
Mädchen knutschen heftig rum in seinem Auto. Irgendwann hält sie es nicht mehr
aus und flüstert, Küss mich. Küss mich da, wo’s stinkt. Und so fährt er mit ihr
nach Clairton.
    Vor ihm, auf der Hügelflanke, hörte er Gemurmel, und er wusste, dass
das eine Menschenansammlung sein musste, hinter einem alten Haus kam Licht
hervor, womöglich eine Schule. Drumherum sonst keine Häuser.
Höchstwahrscheinlich keine Leute aus dem Ort. Vielleicht ja einer, der sich
auskennt mit dem Zugfahrplan.
    Zwei große Feuer in Mülltonnen hinterm Schulgebäude, fast zwei
Dutzend Menschen, die in Gruppen an den Wänden saßen oder standen, an noch
anderen Feuern, ein paar Unterstände aus geklautem Sperrholz oder Wellblech.
Angelehnt an eine Wand haute ein Teenager mit Dreadlocks auf zwei Rigipseimer,
einen Stock in jeder Hand, in synkopiertem Rhythmus, eindeutig kein Amateur,
ein Aussteiger aus einer Schulband. Ein Tambourmajor, zu den Indianern
übergelaufen.
    Isaac stand hinter dem zugewucherten Gebüsch und schaute zu. Die
Leute waren ein Gemisch, die Hälfte Säufertypen aus dem Ort, die andere Hälfte
Jüngere, bis zwanzig, maximal bis dreißig. Es war kalt, aber ein großbrüstiges
Mädchen zog die Bluse aus und tanzte im BH über
den Hof, Gejohle hier und dort. Irgendwann setzte sie sich wieder hin. Einige
andere machtenetwas mit einer Kerze, er begriff, dass sie sich einen Schuss
setzen wollten.
    Geh einfach rein, dachte er. Du bist kein Stück anders als sie alle.
Doch er konnte sich nicht überwinden. Plötzlich brach ein Kampf aus,
Handgemenge zwischen einem großen Mann und einem kleinen, aber keiner traf so
richtig, und dann wurden sie von ein paar anderen getrennt. Der Große, mit
rasiertem Schädel, jünger, stellte sich zu seiner Gruppe. Der Ältere, Kleinere
zog sich zurück und stand allein da. Um das eine Ende des Gebäudes bogen noch
mehr Leute, Isaac erkannte, das waren der Junge und das Mädchen, die vorhin
unter der Brücke auf dem Pier gesessen hatten. Er trug einen Kasten Bier in
jeder Hand, sie hatte eine Lebensmitteltüte.
    Isaac hatte gerade seinen Mut zusammengenommen und wollte sich der
Gruppe anschließen, als es zwischen dem Skinhead und dem Älteren von neuem
losging, diesmal stolperte der Skinhead, und der Ältere traf ihn mit einem
Stock am Kopf, der Skinhead stürzte und bekam noch ein paar Schläge ab, als er
schon auf der Erde hin und her rollte. Der kleine Mann, der zugeschlagen hatte,
griff sich seinen Rucksack und entfernte sich sofort aus dem Gebiet hinter dem
Schulgebäude, die Leute sahen ihm nach, und er lief beinah in Isaac hinein.
    »Ich seh dich nicht«, sagte der Mann und krachte durch die dunklen
Büsche, »aber mach dir wegen mir kein’ Stress.« Er war ungefähr so groß wie
Isaac, und der entspannte sich ein wenig.
    »Ist kein guter Ort hier«, fuhr er fort. »Da drüben gibt’s paar
krumme Typen, Drogis, wenn die sich den großen Glatzkopf angucken, den Wichser,
dem ich eins verpassen musste, rasten sie erst recht aus.«
    Er trug einen Rucksack, Schlafsack unten drangeschnallt, und ging
bergab in Richtung Gleise. Isaac zögerte erst, dann folgte er ihm.
    Etwa hundert Meter später wurde der Mann langsamer, bis Isaac ihn
eingeholt hatte.
    »Wir können’s jetzt mit einem Kampf entscheiden oder bleiben lassen.«
    »Ich will gar nicht kämpfen«, sagte Isaac.
    »Na gut, dann gehen wir zusammen, aber du hörst auf, mich hier zu
nerven.«
    Er ging auf der dunklen Straße weiter, Isaac hielt Schritt mit ihm.
    »Da gab’s paar echte Ätzbeulen«, sagte der Mann. »So läuft’s halt
manchmal.« An der Seite seines Kopfes war ziemlich viel Blut. Er sah, dass
Isaac hinschaute. »Scheiße«, meinte er. »Der hat mich voll erwischt.«
    »Sieht ganz so aus.«
    »Na, das verheilt schon. Tut es immer.

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