Rot wie eine Braut: Roman (German Edition)
sei es zum Guten oder zum Schlechten.
Meliha hatte Glück: Ihr Mann war ein rechtschaffener Mensch.
Sie hatten sich zum ersten Mal am Hochzeitsabend gesehen, und es war buchstäblich Liebe auf den ersten Blick gewesen. Es ist selten, dass so etwas passiert, ihnen war es widerfahren.
»Ich liebe dich, hier, in diesem Leben. Gemeinsam werden wir die vor uns liegenden Jahre verbringen, aber ich werde dich auch anderswo, in anderen Leben lieben«, sagte er gleich am ersten Morgen.
»Mir reicht es, wenn du mich hier und jetzt liebst«, lachte sie, »in anderen Leben lasse ich dir deine Freiheit.«
Neben seiner Liebe gewann Meliha im Lauf der Zeit auch sein Vertrauen. Das Land warf so viel Gewinn ab, dass es ihr manchmal zur Last wurde.
Sie spürte diese Last in den Augenblicken, in denen sie, von tausend Verpflichtungen und Sorgen erdrückt, Gefahr lief, sich selbst zu verlieren. Meliha hatte oft Gelegenheit, den Geschmack der Macht in allen Nuancen auszukosten. Aber bisweilen schmeckte diese Macht bitter.
Unterdessen war der erste Sohn zur Welt gekommen.
»Jetzt hast du einen Fuß in dieses Haus gesetzt, aber vergiss nicht, dass du mit dem zweiten noch draußen stehst«, sagte ihr die Schwiegermutter.
Dann kam der zweite Sohn, der dritte, der vierte, und dazwischen hin und wieder auch ein Mädchen. Das versetzte niemanden in Aufregung, meistens blieb die Sache unbeachtet. Der Junge, der folgte, löschte die Spuren jener lautlosen Niederkünfte. Er löschte sie durch seine Geburt und durch die Schüsse, mit denen der stolze Hausherr das Dorf verständigte.
Meliha hatte vier Jungen und fünf Mädchen zur Welt gebracht. Aber das letzte Mädchen war unerwartet gekommen, in einer Zeit, in der Meliha nicht mehr ans Kinderkriegen gedacht hatte.
»Mir scheint, jetzt bin ich mit Haut und Haaren angekommen«, hatte sie nach einigen Jahren zur Schwiegermutter gesagt.
»Selbst wenn du nur Mädchen geboren hättest, du wärst von Anfang an ganz hier gewesen«, erwiderte die Schwiegermutter lächelnd.
»Und die Sache mit dem Fuß, der noch draußen steht?«
»Ach so. Nun ja, das sind nur Redeweisen, Worte, die wir Frauen von einer Generation zur nächsten weitergeben. Meine Liebe, ich habe dich vom ersten Tag an in mein Herz geschlossen.«
»Das Herz meines Mannes hätte mir genügt«, antwortete Meliha. »Es hat von Anfang an mir gehört.«
»Allein mit dem Herzen deines Mannes wärst du nicht weit gekommen. Männer sind daheim bloß Gäste.«
»Mag sein«, räumte Meliha wenig überzeugt ein. Die Bedeutung dieser Worte sollte sie erst Jahre später begreifen, als sie selbst Schwiegermutter wurde.
Ihre Töchter hatte Meliha gut erzogen, mit dem richtigen Maß an Zuwendung und Strenge. Sie betrachtete sie oft mit jener Zärtlichkeit, in der ein Hauch von Melancholie mitschwingt. Denn sie war sich darüber im Klaren, dass sie nicht ihr gehörten und schon bald fort in ihr eigenes Zuhause gehen würden, um dort das zu tun, was sie hier tat, seit sie hergekommen war. Aber sie hatte hier die Liebe gefunden, welches Schicksal ihre Töchter erwartete, wusste dagegen niemand.
Saba war das jüngste Kind.
»Sie ist wie die Spreu, die immer unten im Sack zurückbleibt«, zog sie die Schwiegermutter auf, während sie auf Saba deutete. »Das gute Mehl hast du bei Zeiten schon fortgegeben, dann wolltest du den Sack noch ein letztes Mal ausschütteln …«
»Sie ist die Tochter meiner alten Tage«, entgegnete Meliha lächelnd.
Saba war so zierlich, sie sah wie ein Wachsfigürchen aus. Mit ihren dünnen Ärmchen, mit denen der Wind sein Spiel zu treiben schien, wich sie der Mutter nicht von der Seite. Sie folgte ihr wie ein Schatten, in den Hühnerstall, in die Waschküche, zum Brunnen oder wenn sie Verwandte und Freunde besuchten. Sie trennte sich nur von ihr, um in die Schule zu gehen.
Saba war die einzige Tochter, die zur Schule ging. Ihre Brüder hatten die Volksschule im Dorf besucht, die Mädchen dagegen nicht.
»Sie müssen lernen, den Haushalt richtig zu führen, mehr brauchen sie nicht. Lesen und schreiben zu können, bringt nur Schwierigkeiten«, sagte die Mutter.
»Einen, der studiert hat, kann man in der Familie immer gebrauchen. Aber nur einen, die anderen werden sich schon nicht langweilen, mit all dem Land und Vieh, das wir haben«, meinte Habib, der Vater.
Der älteste Sohn, Emin, wurde nach der Volksschule zum Studieren in die Stadt geschickt, und kam als Lehrer ins Dorf zurück. Er war es, der darauf
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