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Rot wie eine Braut: Roman (German Edition)

Rot wie eine Braut: Roman (German Edition)

Titel: Rot wie eine Braut: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anilda Ibrahimi
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Los, erzähl schon«, hakt eine der Freundinnen nach.
    Die Frau mit der weisgesagten Reise wirkt nicht gerade begeistert, doch dann beginnt sie von ihrer Tochter zu berichten, die an der Universität studiert und einen Mann aus dem Norden kennengelernt hat. Sie wollen sich verloben. Nachdem die Familie des Jungen offiziell um die Hand der Tochter angehalten hat, sind sie nun an der Reihe, den Besuch zu erwidern. Sie müssen das ganze Land durchqueren, um in den Norden zu gelangen, sie müssen ans andere Ende der Welt reisen. Sie macht sich Sorgen, die arme Frau: Wie sollen sie sich mit den Leuten aus dem Norden verständigen? Ihr Dialekt ist so anders als der im Süden, ganz zu schweigen von den Gewohnheiten und Bräuchen.
    »Ja sind denn die jungen Männer aus unserer Gegend alle vergeben, dass deine Studentin bis in den Norden gehen musste? Ich versteh sie einfach nicht, die Jugend von heute«, sagt Bedena.
    Die Frauen sind in ihre Plaudereien vertieft, als Atika, Bedenas zurückgebliebene Tochter, erscheint. Sie schreit und weint, ihr Gesicht ist zerkratzt, mit einer Hand hält sie den Rock vor dem Bauch zusammen. Angesichts dieser Szene verschwinden die Dorffrauen unauffällig, eine nach der anderen. Sie wissen, wie sehr Bedena ihre Tochter meidet, und wollen nun nicht Zeugen von Dingen werden, die sie nichts angehen.
    Widerwillig tritt Bedena auf Atika zu. Sie glaubt, dass sie wieder einmal in den ausgetrockneten Brunnen hinter dem Haus gefallen ist, vielleicht ist sie auch den Steilhang bei den Feldern hinabgestürzt.
    Kein Streicheln über das zerkratzte Gesicht, kein Wort der Nachfrage zu dem, was vorgefallen ist. Diese Tochter ist eine Strafe, aber eine Strafe wofür? Das fragt sie sich ständig. Manchmal hat sie eine Antwort, andere Male wischt sie diese Antwort einfach fort.
    Atika weint verzweifelt, sie versucht, sich der Mutter zu nähern, vielleicht würde sie sich gern in ihre Arme werfen. Die Mutter stößt sie mit einer verächtlichen Geste von sich, sie mag ihre Umarmung nicht.
    Atika hebt den Rock weiter an, auf den mageren Oberschenkeln sind zwei blutige Streifen zu sehen.
    »Dume«, sagt sie schließlich, wobei sie auf ihre Scham deutet.
    Bedena begreift sofort, was vorgefallen ist. Sie packt die Tochter am Arm und zerrt sie ins Badezimmer. Atika weint und schreit noch immer.
    »Sei still.«
    Bedena zieht sie nackt aus und beginnt verbissen, sie zu waschen. Sie kippt ihr kaltes Wasser über den Körper und schrubbt sie mit ganzer Kraft. Im Stillen weint sie. Vielleicht, weil die Tochter auf diese Weise ihre Jungfräulichkeit verloren hat? Nein, sie beweint zum x-ten Mal ihr unseliges Schicksal, das ihr ein solches Kind beschert hat.
    Nachdem sie gewaschen ist, packt Bedena sie mit einer Hand am Haar und fängt mit der anderen an, sie zu ohrfeigen, bis sie nicht mehr kann.
    »Wenn du irgendjemandem erzählst, was Dume mit dir gemacht hat, kriegst du noch mehr Schläge von mir. Ich werde dich eigenhändig umbringen«, sagt sie zu ihr.
    Atika hört auf zu weinen und schaut die Mutter traurig an, ihr Mund ist trocken, die Zunge hängt heraus, und die Schenkel sind gerötet, aber rein. Ihre Wunde hat aufgehört zu bluten. Sie tritt aus dem Badezimmer, geht auf ihre Ecke, auf ihre Stoffpuppen zu. Sie werden ihr wie immer in aller Stille ihre leblose, wortlose Liebe geben, eine Liebe so leer wie die Wüste im Herzen der Mutter.
    Bedena, die im Badezimmer zurückgeblieben ist, betrachtet die blutbefleckte Wäsche auf dem Boden. Dann bricht sie in leises, gedämpftes Schluchzen aus, das aus der Nacht aller Zeiten zu kommen scheint.
    Am nächsten Tag fährt Bedena in die Stadt. Sie erzählt niemandem, was ihrer Tochter widerfahren ist. Wozu? Das Dorf würde über sie lachen. Dume hat sich mit Atika amüsiert, würden sie sagen. Atika hat zwar kein Hirn, aber immerhin eine Möse, würden andere hinzufügen. Die ganze Sache anzeigen? Nun, die Ordnungshüter würden sich wohl kaum für eine wie Atika ins Zeug legen. Und dann die Gutachten, Gegengutachten, Arztbesuche in der Stadt, Reisen, Geld, verlorene Zeit … Ihre Söhne müssten den anderen beweisen, dass sie noch Männer sind. Aber sie hätten keine Lust, Dume ins Visier zu nehmen, um den es ziemlich übel stehen muss, wo er Atika gevögelt hat. Wenigstens ihnen muss sie all das ersparen, hat sie sie nicht schon genug leiden lassen, indem sie ein Monster wie Atika in die Welt setzte?
    Der Augenblick ist gekommen, die Sache endlich anzugehen, sie weiß

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