Rot wie eine Braut: Roman (German Edition)
dich nicht nur deinem Schmerz und deiner Reue hingeben, du hast Kinder, die satt werden wollen und dich brauchen«, hatte Saba an jenem Tag gesagt.
Danach hatten sie nicht mehr darüber gesprochen. Saba glaubte, dass ihre Schwester sich bessern würde. Sie irrte. Bedenas Geist war so verzerrt und unberechenbar wie immer. Ihre Seele, ein Meer ohne Wellen, ein Tümpel, auf dem die weißen Federn eines bereits toten Schwans trieben. Auch wenn sie selbst ihn nicht getötet hatte.
Zweiundzwanzig
Saba wird Kaltra für immer verlassen. Sie wird in die Stadt ziehen. In der Morgendämmerung läuft sie über den Hof, durch ihr Reich, gibt den Hühnern ihr Futter und hält vor den Pflanzen inne, um sie zu streicheln. Den ganzen Tag lang empfängt sie ihre Freundinnen. Sie schenkt jeder etwas von sich, etwas, das auch nach ihrer Abreise bleibt. Es sind keine Juwelen oder wertvollen Dinge, sondern ganz einfach Gebrauchsgegenstände. Wenn man sich heute vorstellt, dass einem die Freundin eine Axt schenkt, kann man sich nur schütteln, aber damals flossen Tränen der Rührung. Es ist die Axt, mit der Saba das Holz klein hackte, einer ihrer liebsten Gegenstände und auch einer der nützlichsten.
Saba hat bereits drei ihrer Töchter unter die Haube gebracht, teils in der Landeshauptstadt, teils in der Provinzhauptstadt Vlora. Sie waren an der Universität, und nach dem Studium hat sich eine nach der anderen trauen lassen. Sie muss noch zwei Töchter und den Sohn verheiraten.
Omer ist krank, sie waren oft zu ärztlichen Untersuchungen in der Stadt, aber die weite Strecke zwei, drei Mal die Woche zurückzulegen, ist mittlerweile unmöglich. Er schafft es nicht mehr, und auch für Saba ist es kaum noch zu schaffen. Sie haben beschlossen, nach Vlora zu ziehen, um näher bei den Ärzten zu sein. Saba muss ihr Dorf, ihre Freundinnen, ihre Toten für immer verlassen. Ihre Mutter lebt noch und verbringt ihre Tage im Hof hinter dem Holztor. Manchmal sagt sie, dass ihr Leben wie ein Blick aus dem Fenster war, ein Blick, der fast ein Jahrhundert dauerte. Andere Male ist sie dieses Lebens müde. Ihre Freunde sind alle längst tot, sie hat keine alten Bekannten mehr, mit denen sie ein paar Worte wechseln oder einen Scherz über gemeinsame Freunde machen könnte. Oft schläft sie auf ihrem Sessel ein und erwacht in einem anderen Jahr. Zwischen dem einen und dem anderen Schläfchen durchlebt sie erneut ihre gesamte Existenz. Aber diesmal hat sie keine Eile, diesmal kostet sie jeden einzelnen Augenblick mit ihren kleinen Kindern, dem zärtlichen Ehemann und der blutjungen Mutter aus.
»Mama, Mama, ich will mitkommen, ich will dir helfen, die Wassereimer zu tragen, ich bin schon groß, Mama, lass mich nicht allein …« Melihas Mutter stellt die leeren Eimer auf den roten Dielenboden und nimmt sie in den Arm, eine Umarmung, die nach Quitten duftet.
»Mama, ich habe Angst vor der Dunkelheit …«
Meliha öffnet die Augen und fällt in die Zeit des Wickelns und Stillens zurück. Sie wird unruhig. Dann schließt sie erneut die Augen und verliert sich in einer innigen, zeitlosen Liebe. Sie hat in ihrem Leben für alles Zeit gehabt außer für ihre großen Leidenschaften. Die der Liebe gewidmete Zeit scheint immer verloren zu sein. Aber nun kann sie alle Zeit verlieren, die sie möchte. Man sieht es an dem entspannten Gesichtsausdruck, aus dem Glück spricht.
Das Einzige, was sie noch ans Leben zu binden scheint, sind die unzähligen Tassen Kaffee, die sie zu jeder Tageszeit trinkt.
»Was hält mich noch auf der Erde, wenn nicht der Duft dieser Tasse Kaffee?«, sagt sie, bevor sie das schwarze Gift schlürft.
»Wenn du mich an meiner ewigen Ruhestätte besuchen kommst«, erklärt sie Saba, »vergiss nicht, mir immer ein Päckchen Kaffee mitzubringen. Ich werde schon einen Weg finden, mich aufzurichten und eine Tasse davon zu trinken. Ich glaube nicht, dass der Tod über diese Angewohnheit der Lebenden verärgert sein wird. Ich bin ohnehin schon fast die Seine …«
Saba lächelt und verspricht, ihr das Gewünschte jede Woche auf den kalten Marmor zu legen.
»Und bring mir ja keine Blumen, lass nicht zu, dass sie mir Blumen aufs Grab legen. Das ist ein dummer Brauch, was soll ich mit Blumen? Sie locken nur die Esel an, die in der Nähe des Friedhofs nach frischem Gras suchen.«
Sie hat nichts mehr für die Kinder, die die Urgroßmutter besuchen kommen. Sie weiß nicht, wo Bonbons, Llokum oder ihre in rotes Papier gewickelten
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