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Rot wie eine Braut: Roman (German Edition)

Rot wie eine Braut: Roman (German Edition)

Titel: Rot wie eine Braut: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anilda Ibrahimi
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dazu zwingt, auf ein böses Mädchen wie dich aufzupassen.« Wenn sie dagegen gut gelaunt war, bedachte sie den Jungen mit zärtlichen Worten: »Oh du mein kleiner Kosovare!« Eines Tages fragte ich sie:
    »Mutter Mukades, warum nennst du ihn Kosovare?«
    »Weil er schön ist«, antwortete sie. »Sieht man das etwa nicht? Er ist schön wie ein Kosovare.«
    »Wo hast du denn Kosovaren gesehen?«, forschte ich weiter.
    »Was für eine Frage«, erwiderte sie. »Im Film, wo sonst? Sie sind schön, stattlich, mutig, haben dichte Bärte, ach, die Besten von uns sind draußen geblieben …«
    An besagtem Tag war Mukades jedoch schweigsam. Sie setze sich auf eine der Stufen und starrte auf die Tür.
    »Wo ist deine Großmutter?«, fragte sie mich.
    »Zu Hause«, gab ich zur Antwort. »Wenn du Lust hast, geh auf einen Kaffee zu ihr. Weißt du, sie ist ein bisschen traurig heute, ein Besuch von einer Freundin …«
    »Nein, ich kann nicht, ich habe diese drei Teufelsbraten, die gerade Mittagsschlaf halten. Ich muss auf sie aufpassen. Vielleicht nachher, wenn mein Sohn und die Schwiegertochter zurück sind.«
    Ihr Sohn war Unteroffizier bei der Marine, und ihre Schwiegertochter arbeitete als Archivarin für dieselbe Militärbasis. Einfache Leute, die vor ein paar Jahren aus ihrem Dorf nach Vlora gezogen waren.
    Einige Zeit später hörte ich die Tür zu unserer Wohnung. Ich glaubte, sie würden mich suchen. Es war mein Vater. Er hatte sein Mittagsschläfchen beendet, die Nachrichten im Radio gehört und war nun unterwegs in den Schachklub. Papa grüßte die alte Mukades.
    »Guten Tag, Herr Lehrer«, antwortete sie. »Wie geht’s? Was gibt es Neues in der Stadt und in der Welt? Erzählen Sie einer alten Analphabetin, die zwischen ihren vier Wänden versauert, mal ein bisschen.«
    »Nun ja«, sagte Papa, »in der Stadt gibt es nichts Neues, auch in Albanien nicht. Aber außerhalb des Landes schon. Krieg, es gibt Krieg. Alle sind wütend auf Saddam, weil er in Kuwait einmarschiert ist, Mutter Mukades.«
    »Und wo liegt dieses Kuwait?«, erkundigte sie sich. »Ist es weit von hier? Sind es nicht unsere Freunde, denen wir zu Hilfe eilen müssen?«
    »Wir sind Freunde von Saddam. Er will nur sein Land zurückhaben«, erklärte Papa.
    Er konnte mal wieder seinen schwarzen Humor nicht im Zaum halten und begann, sein Spiel mit Mutter Mukades zu treiben.
    »Wir werden ihm natürlich beistehen. Die ersten U-Boote sind schon startbereit.«
    »Und mein Mussa? Oh ich Ärmste«, schrie die alte Mukades außer sich.
    »Er wird sicher unter den Ersten sein, die aufbrechen«, sagte Papa, »so tüchtig wie er ist, und noch dazu aus guter kommunistischer Familie. Wen sollen sie sonst schicken, wenn nicht ihn?«
    Dann ging Papa fort und ließ die arme Mukades in ihrer Verzweiflung zurück.
    »Mussa, Mussa, hättest du bloß auf mich gehört, dann wärst du jetzt sicher und gesund in unserem Dorf. Aber du wolltest unbedingt zur Marine, du wolltest in die Stadt. Wer wird für deine Kinder sorgen? Mussa, oh Mussa, wer weiß, ob ich dich jemals wiedersehe. Was sollen wir nur deinem Sohn sagen, der ohne Vater aufwachsen wird?« Ihr Jammern glich einer Totenklage.
    Großmutter Saba öffnete die Tür und eilte die Stufen hinab. Sie glaubte, bei Mukades sei jemand gestorben.
    »Mussa, mein Mussa, sie haben ihn in den Krieg geschickt.«
    Großmutter fasste sie unterm Arm und führte sie in unsere Wohnung.
    »Du bleibst hier und passt auf, ob ihre Enkel wach werden«, befahl sie mir.
    Als meine Freunde und ich allein waren, bogen wir uns vor Lachen.
    »Aber sie kann einem schon leidtun«, sagte ich, »wir sollten hingehen und ihr erklären, dass alles ein Scherz war.«
    »Ach was, lass sie nur, es ist zu komisch. Unsere Soldaten in Kuwait«, meinte einer meiner Freunde höhnisch.
    Großmutter Saba versuchte, die alte Mukades so gut es ging zu trösten, aber sie hatte keine Ahnung von Außenpolitik und konnte ihr deshalb nicht sagen, dass man sie nur auf den Arm genommen hatte. Sie sagte nur, dass Mussa heil und gesund zurückkehren werde, dass die Kriege nicht mehr so seien wie früher, als man den Feind noch mit dem Gewehr in der Hand an der Front bekämpfte. Nein, jetzt war alles modern. Es gab Schiffe, Flugzeuge, Bomben … Ihr Mussa würde diesem Saddam, oder wie er hieß, helfen, sein Land zurückzugewinnen, das ihm Kuwait gestohlen hatte, und würde dann als wahrer Held zurückkehren.
    Die Geschichte von der alten Mukades und ihrem Mussa, der auszog,

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