Rot wie eine Braut: Roman (German Edition)
meldete. Und tatsächlich meldete sich jemand: der besagte Engländer.
Das war alles, was ich an dem Tag, an dem Bubi zu Besuch kam, von Tina erfuhr.
Eine Woche später hatte ich meine merkwürdigen Verwandten bereits wieder vergessen. Ich hatte genug eigene Probleme, war ich nicht selbst im heiratsfähigen Alter? Sie waren nicht die Einzigen, die einen Ausländer zum Mann haben wollten! Im Übrigen stand meine Zukunft, nach Tante Afroditas Vorhersagen, bereits fest …
Es vergingen Monate, bis ich etwas Neues über die Geschichte von Delfina und Bubi erfuhr. Der Engländer, der sich auf die Annonce gemeldet hatte, war nicht der übliche Ausländer, der eine Frau aus Osteuropa für seine seit Jahren gelähmte Mutter suchte. Er war auch kein Verrückter, der, glücklich darüber, dass die Welt nicht weniger verrückt war als er, auf alle seltsamen Annoncen antwortete.
Auf Bitten von Bubi war Tina zu dem Treffen mit dem englischen Heiratsanwärter gefahren, bei dem natürlich auch Bubis Schwester Delfina nicht fehlen durfte. Der Engländer war sehr höflich und zuvorkommend, aber er trank eindeutig zu viel Whisky.
Sie luden ihn zum Essen ein, ein schweigsames Essen, bei dem Tina die ganze Zeit im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stand. Tina, meine Freundin, die Dolmetscherin, die Bubis Schicksal in der Hand hatte.
Nach dem Abendessen hätte der Engländer eigentlich in sein Hotel zurückkehren müssen, aber es waren seltsame Zeiten, in denen alle eine Waffe bei sich trugen, alle außer die Polizei, die den Banditen keinen Schrecken einjagen wollte, um nicht selbst mit einer Kugel im Kopf zu enden. Sie beschlossen daher, den Engländer bei sich schlafen zu lassen.
Delfina und Bubi ließen ihn im Wohnzimmer zurück und holten zur Verstärkung zwei Freundinnen aus dem Haus, zwei alte Jungfern. Falls der Engländer versuchen sollte, über Bubi herzufallen, würde Delfina alleine sie nicht beschützen können. Und Tina war zwar eine fleißige Studentin, aber ansonsten …
Vor die Tür zum Wohnzimmer schoben sie eine Truhe, auf die sie einen Sessel und andere schwere Gegenstände stellten, die sie in der Wohnung fanden.
Als der Engländer den Lärm hörte, trat er an die Tür, um zu horchen.
»Ist alles in Ordnung?«, erkundigte er sich.
»Ich hab’s gewusst«, sagte Delfina mit zitternder Stimme. »Jetzt tritt er die Tür ein.«
Die Freundinnen sahen Bubi verängstigt an.
»Der Kerl wird sich erst über dich hermachen, und dann über uns alle«, rief die älteste von ihnen.
»Ja, es ist alles in Ordnung«, sagte Tina auf Englisch, um ihn zu beruhigen. Der Engländer zog sich zurück und trank seinen Whisky, bis er irgendwann auf dem Sofa einschlief.
Am nächsten Morgen rückten die Frauen die Möbel beiseite, um nach ihm zu schauen.
»Er ist ein Säufer, dem werde ich meine Schwester niemals anvertrauen«, sagte Delfina.
»Kaum zu glauben, mit fünf attraktiven Frauen im Haus hat der nichts anderes zu tun als zu trinken«, kommentierte eine der Jungfern.
»Schlag ihn dir aus dem Kopf«, meinte die andere, »die ausländischen Männer sind alle seltsam.«
»Wenn ich schon mit einem Säufer vorliebnehmen soll, kann ich ebenso einen aus Albanien nehmen«, befand Bubi.
Tina und ich bogen uns vor Lachen, als wir in der kleinen Bar vor dem Institut für Philologie zusammensaßen. Wir hatten Tränen in den Augen. Ich habe ihr nie meine Verwandtschaft zu den beiden Schwestern gestanden, und nicht nur ihr nicht. Ich kann mir meine Zurückhaltung nicht erklären, auch für mich war es eine neue Erfahrung. War es aus Rücksicht auf Großmutter Saba? Vielleicht wollte ich anders sein als die Frauen aus meiner Familie. Aber in welchem Sinne anders? Wie es schien, war in der Kette dieser riesigen Frauensippe ein Riss entstanden.
Dreiundzwanzig
Ich hatte Henna im Haar, um es rot zu färben. Das Licht war ausgefallen, wie so oft, und ich wartete die Einwirkungszeit bei Kerzenschein ab.
Wir hörten Lärm, Schreie, die von der Straße hinaufdrangen. Wir traten auf den Balkon: Junge Männer mit Fackeln in den Händen.
»Kommt herunter, Schwestern. Lasst uns nicht allein!«, schrien sie uns aus Leibeskräften zu.
Ihr Protestmarsch, der zwei Stunden zuvor begonnen hatte, hielt vor den Gebäuden, in denen wir Frauen wohnten.
»Es reicht, Schwestern, es reicht mit diesem Leben. Wir wollen Licht, wir wollen Heizung, wir wollen wie normale Menschen leben!«
Ihre Slogans waren einfach. Sie forderten bessere
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