Rot wie Schnee
im »Dakar« seit ihrem nervösen Neuanfang geschehen war und so vielversprechend ein neues und besseres Leben eingeläutet hatte.
Und dann Manuel. Warum mochte sie ihn so gern? Weil er sie so angeschaut hatte – mit Wertschätzung und einer Art Respekt hinter dem beherrschten Verlangen? Denn natürlich sprachen seine Blicke und Bewegungen auch von Lust. Sie hatte sich selbst dabei ertappt, dass sie dachte: Fass mich an!, wenn sie in der Spülküche geredet und gelacht hatten. Und es war, als hätten ihre Gedanken unbewusst auch Manuel beeinflusst. Er wurde gleichzeitig schüchtern und eifrig. Die Hitze von der Spülmaschine ließ seine dunkle Haut glühen, und wenn sie den Schweiß auf seiner Stirn glänzen sah, hätte sie ihm am liebsten die störrischen Haare aus dem Gesicht gestrichen und ihre kühle Hand auf seine Stirn gelegt.
Ich schäme mich, dachte sie. Ich wollte ihn haben. Nicht nur, dass ich für einen Drogenhändler gearbeitet habe, ich begehrte einen Lügner, der womöglich in den Schmuggel verstrickt ist und einen Bruder hat, der im Gefängnis sitzt.
Ein Bruder, dessen Foto auf allen Zeitungen prangte. Es erstaunte Eva, dass kein anderer im »Dakar« auf das Foto von Manuels Bruder in den Zeitungen reagiert hatte. Vielleicht hatte Slobodan Anderssons Festnahme sie zu sehr empört, als dass ihnen die enorme Ähnlichkeit der Brüder Alavez aufgefallen wäre.
Eva stand auf und ging ins Schlafzimmer, um ihr Bett zu machen, blieb aber mit dem Überwurf in der Hand stehen. Jetzt war es wie früher, Passivität und Zukunftsangst hatten sie wieder eingeholt. Feos Worte, sie könne jederzeit einen neuen Job als Kellnerin bekommen, falls das »Dakar« schließen müsste, hatten sie nicht beruhigt. Diese kurze Zeit im »Dakar«, was für Qualifikationen sollte sie sich da schon erworben haben?
|389| Ein Schmetterling tauchte vor dem Fenster auf, war aber ebenso schnell wieder verschwunden, wie er gekommen war. Eva ließ den Überwurf los und sank aufs Bett.
Der Traum ist schon wieder ausgeträumt, dachte sie. So rasch ging das.
61
D rei Tage lang hatten sich Manuel und Patricio in dem Schuppen aufgehalten. Sie hatten keine Menschenseele gesehen. Manchmal war das dumpfe Brausen der Autos zu hören gewesen und ein Knallen, regelrechte Salven, das vermutlich von Waffen kam. Sicher handelte es sich um militärische Übungen.
Am ersten Abend war Manuel zu dem Handwerkerzentrum zurückgegangen. Gut zwei Stunden hatte er den Parkplatz beobachtet, ehe er sich aus der Deckung wagte. Jetzt parkte das Auto in einer baufälligen Garage neben dem Haus.
Am Morgen des zweiten Tages hatte Manuel eine Leiter ans Wohnhaus gestellt und war hinaufgeklettert. Tatsächlich hatte er ein Fenster öffnen können. In der Küche hatten sie Kekse gefunden, Konserven und ein Paket Rosinen. Aus dem Brunnen hatten sie mit dem Eimer Wasser hochgeholt, und in einem Erdkeller fanden sie verstaubte Einmachgläser, auf deren Etiketten die Jahreszahl 1998 stand.
Sie waren es gewohnt, mit wenig auszukommen, und so litten sie eigentlich keine Not. Schlimmer war die Untätigkeit. Patricio wurde unruhig und gereizt. Manuel hatte Witze gemacht, er müsse es doch gewohnt sein, auf einer Pritsche zu liegen, aber Patricio hatte nur irgendetwas gemurmelt.
Manuel beschäftigte die Frage, ob er dem Bruder von Armas’ Tod berichten sollte. Erst am zweiten Tag, als sie sich wieder über den Dicken und den Langen unterhielten, wurde |390| ihm bewusst, dass Patricio ja keine Ahnung hatte, was am Fluss passiert war. Er beschloss, nichts zu sagen.
Manuel hatte den Apfelbaum zersägt und das Holz an der Wand zum Schuppen aufgestapelt. Patricio hatte ihm geholfen, die übrig gebliebenen Zweige einzusammeln. Ansonsten hatte die Zeit nur aus Warten bestanden.
Die Brüder saßen auf einer Bank vorm Haus. Jetzt blieb ihnen nur noch ein Tag bis zu Manuels Flug nach Mexiko übrig. Sie besprachen, wie sie vorgehen wollten, und beschlossen, gemeinsam nach Arlanda zu fahren. Um aus dem Land zu kommen, sollte Patricio Manuels Pass und Ticket benutzen. Aber Patricios Einwände gegen den Plan nahmen zu.
»Und wie willst du nach Hause kommen?«
»Darüber haben wir doch geredet.« Manuel war ärgerlich. »Nach mir wird nicht gefahndet. Sie können mich nicht bestrafen. Ich gehe zur mexikanischen Botschaft, und dort wird mir ein neuer Pass ausgestellt. Ich kann ja sagen, dass ich betrunken war und Pass und Ticket verloren habe und dass ich nicht rechtzeitig
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