Rote Lilien
noch ein sexueller Kontakt, noch mehr Eskalation. Und jetzt du.«
»Ich habe aber keinen Sex.« Noch nicht, dachte sie. Du meine Güte. »Aber du denkst darüber nach. So wie Stella darüber nachgedacht hat. Und ich auch.«
»Dann glaubst du also, dass sie sich jetzt auf mich konzentriert, weil diese sexuelle Energie wie eine Art Magnet auf sie wirkt? Und dass jetzt wieder alles eskalieren wird?«
»Es könnte durchaus so kommen, vor allem, wenn diese sexuelle Energie mit echter Zuneigung verbunden ist. Mit Liebe.«
»Das heißt also, wenn ich mich in einen Mann verliebe und mit ihm ins Bett gehe, besteht die Gefahr, dass sie ihm etwas tut. Oder Lily. Sie könnte ...«
»Moment mal.«
Roz legte Hayley beruhigend die Hand auf den Arm. »Sie hat noch nie einem Kind wehgetan. Es gibt absolut keinen Grund dafür anzunehmen, dass sie Lily etwas tun würde. Aber für dich gilt das vielleicht nicht.«
»Sie könnte mir wehtun oder es zumindest versuchen. Das ist mir schon klar.« Hayley seufzte.
»Also muss ich dafür sorgen, dass es nicht so weit kommt. Sie könnte auch jemand anderen verletzen. Dich oder Mitch, David, jeden von uns. Und wenn es jemanden geben würde, der mir wichtig ist, jemanden, mit dem ich zusammen sein will, wäre er doch das wahrscheinlichste Ziel, oder nicht?«
»Vielleicht. Aber man kann sein Leben doch nicht mit solchen Unwägbarkeiten leben. Hayley, du hast ein Recht auf dein Leben. Ich möchte nicht, dass du dich verpflichtet fühlst, hier zu bleiben oder weiterhin im Gartencenter zu arbeiten.«
»Du willst, dass ich gehe?«
»Nein.« Der Druck von Roz' Hand verstärkte sich.
»Aus einem ganz egoistischen Grund heraus möchte ich, dass du bleibst. Du bist die Tochter, die ich nie hatte. Und dein Kind macht mir so viel Freude wie kaum etwas anderes in meinem Leben. Ich sage dir, dass du gehen sollst, weil du mir so viel bedeutest.« Hayley holte tief Luft, während sie aufstand und zum Fenster trat. Sie sah in den sommerlichen Garten hinaus, dessen Blumen im dunstigen Halbdunkel leuchteten. Und dahinter lag das Kutscherhaus, auf dessen Veranda die Lampen brannten. »Meine Mutter hat uns verlassen. Mein Vater und ich waren ihr nicht genug, und da ist sie gegangen. Sie hat uns nicht genug geliebt. Als mein Vater gestorben ist, hatte ich nicht einmal eine Adresse von ihr, um ihr seinen Tod mitzuteilen. Sie wird ihre Enkelin nie sehen. Das ist jammerschade für sie. Aber nicht für Lily. Lily hat dich. Und ich habe dich.
Ich werde gehen, wenn du sagst, dass ich gehen soll. Ich werde mir eine Wohnung und eine andere Arbeit suchen. Und ich werde mich so lange von Harper House fern halten, bis ihr das Rätsel um Amelia gelöst habt. Aber dazu musst du mir zuerst eine Frage beantworten und ich bin mir sicher, dass du ehrlich sein wirst.«
»Einverstanden.« Sie drehte sich um und sah Roz in die Augen. »Stell dir vor, du wärst an meiner Stelle und müsstest dich entscheiden, ob du die Menschen verlässt, die du liebst obwohl du ihnen vielleicht helfen könntest, ob du einen Ort, einen Arbeitsplatz verlässt, den du lieb gewonnen hast. Und dass du diese Entscheidung treffen müsstest, weil vielleicht etwas passieren könnte. Weil du vielleicht Schwierigkeiten bekommen würdest, weil du mit etwas fertig werden müsstest, das vielleicht nicht leicht sein wird. Was würdest du tun, Roz?«
Roz stand auf. »Dann bleibst du wohl.«
»Sieht ganz so aus.«
»David hat einen Pfirsichkuchen gebacken.«
»O je ...« Roz streckte die Hand aus. »Komm, wir holen uns ein großes kalorienreiches Stück. Und dann werde ich dir von der Blumenhandlung erzählen, die ich nächstes Jahr an das Gartencenter anbauen will.«
Im Kutscherhaus hatte Harper seinen Vorrat an eingefrorenen Essenresten inspiziert. Und während er ein Stück von Davids gebratenem Hühnchen aß, dachte er an Hayley. Sie hatte das Spielfeld gewechselt, und jetzt war er sich nicht sicher, was er mit dem Ball anfangen sollte. Er hatte in den letzten eineinhalb Jahren alles versucht, um seine Gefühle für Hayley zu unterdrücken, und war wegen ihres Verhaltens und der Signale, die sie ausgesandt hatte, davon ausgegangen, dass sie in ihm einen Freund sah. Oder vielleicht sogar eine Art Ersatzbruder. Er hatte sein Bestes getan, um diese Rolle zu spielen. Und auf einmal war sie hier hereinspaziert und hatte heftig mit ihm geflirtet. Hatte ihn so geküsst, dass ihm abwechselnd heiß und kalt geworden war, während Lilys
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