Rote Lilien
würde ein Kind haben. Wenn ich ein Baby hätte, würde ich nicht mehr allein sein. Das war ein sehr egoistischer Gedanke, und zum ersten Mal wurde mir klar, dass ich das Kind behalten wollte. Für mich.« Sie holte tief Luft und sah ihn an. »Ich habe beschlossen, das Kind zu behalten, weil ich einsam war. Das war damals der ausschlaggebende Grund.« Harper sagte eine Weile gar nichts. »Und der Student?«
»Ich bin zu ihm gefahren, um es ihm zu sagen. Ich hatte über das Sekretariat der Universität seine Adresse herausbekommen und wollte ihm meine Entscheidung mitteilen.« Eine leichte Brise erfasste ihr Haar, und sie ließ die feuchte, warme Luft über ihr Gesicht streichen. »Er hat sich gefreut, mich zu sehen. Ich glaube, er hat sich ein bisschen geschämt, weil er sich nicht bei mir gemeldet hatte. Das Problem war nur, dass er sich verliebt hatte. Die große Liebe«, sagte sie, während sie mit einer dramatischen Geste die Arme ausbreitete. »Er war so glücklich und aufgeregt, und als er von ihr gesprochen hat, konnte man seine Liebe fast mit Händen greifen.«
»Also hast du es ihm nicht gesagt.«
»Ich habe es ihm nicht gesagt. Was hätte ich denn tun sollen? Ich freue mich ja so für dich, dass du jemanden gefunden hast, mit dem du den Rest deines Lebens verbringen willst. Was wird sie wohl dazu sagen, dass du mir ein Kind gemacht hast? Tut mir ja Leid, dass du dir dein Leben verpfuscht hast, nur weil du da gewesen bist, als ich einen Freund gebraucht habe. Außerdem wollte ich ihn doch gar nicht. Ich wollte ihn nicht heiraten, also hätte es auch gar keinen Sinn gehabt, ihm von dem Kind zu erzählen.«
»Er weiß gar nichts von Lily?«
»Noch eine egoistische Entscheidung, mit einer kleinen Prise Selbstlosigkeit, weil es für ihn das Beste war. Später, in der zweiten Hälfte der Schwangerschaft, als ich das Kind in mir gespürt habe, habe ich mir Vorwürfe deshalb gemacht. Aber ich habe es ihm trotzdem nicht gesagt.« Sie brach ab. Es war schwieriger weiterzuerzählen, wenn er schwieg, wenn er sich so völlig auf das konzentrierte, was sie sagte. »Ich weiß, dass er ein Recht darauf hat, es zu erfahren. Aber es war meine Entscheidung, und ich würde mich wieder so entscheiden. Ich habe gehört, dass er das Mädchen im
April geheiratet hat und sie dann nach Virginia gezogen sind, wo seine Familie herkommt. Ich glaube, ich habe das Richtige für uns alle getan, aus welchen Gründen auch immer. Vielleicht würde er Lily lieben, aber vielleicht würde er bei ihrem Anblick immer nur daran denken, dass er einen Fehler gemacht hat. Ich will es nicht wissen. Weil sie für mich in den ersten Monaten meiner Schwangerschaft ein Fehler war, und dafür hasse ich mich. Ich habe erst angefangen, sie zu lieben, als ich im fünften Monat war, und dann war es wie ... als würde sich alles in mir öffnen, als würde sie die Leere in mir füllen. Zu dem Zeitpunkt ist mir auch klar geworden, dass ich von zu Hause wegmuss. Dass sie und ich ganz neu anfangen müssen.«
»Das war sehr tapfer von dir. Und die richtige Entscheidung.« Seine Antwort klang so simpel und einfach, und sie war nicht im Geringsten darauf vorbereitet. »Es war verrückt.«
»Tapfer«, wiederholte er. Er blieb an einer Stelle des Parks stehen, an der gelbe Lilien wuchsen. »Und die richtige Entscheidung.«
»Es hat sich als die richtige Entscheidung herausgestellt. Eigentlich wollte ich sie Eliza nennen. Das war der Name, den ich für ein Mädchen ausgesucht hatte. Doch dann hast du mir rote Lilien mitgebracht, und sie waren so wunderschön, so lebendig. Als sie geboren war, dachte ich, sie ist so wunderschön, so lebendig. Sie muss Lily heißen.« Sie seufzte. »Das war's. Das ist der große Kreis, vom Anfang bis zum Ende.« Er beugte sich zu ihr hinunter und küsste sie. »Weißt du Was? Kreise kann man größer machen.«
»Soll das etwa heißen, dass ich dich mit meiner persönlichen Herz-Schmerz-Vorabendserie nicht zu Tode gelangweilt habe und du wieder mit mir ausgehen willst?«
»Du hast mich noch nie gelangweilt.«
Er nahm ihre Hand, und sie gingen weiter. »Und ja, ich würde gern wieder mit dir ausgehen.«
»Weit weg von Harper House. Weit weg von ihr.«
»Das können wir gern tun. Aber das Problem ist, dass wir dort leben, Hayley. Wir arbeiten dort. Wir können ihr nicht aus dem Weg gehen.«
Er hatte natürlich Recht, dachte Hayley, als sie ihr Schlafzimmer betrat. Sämtliche Schubladen ihrer Kommode waren
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