Rote Lilien
aufgerissen. Ihre Sachen von dort, die Kleidung aus dem Schrank, alles lag in einem großen Haufen auf dem Bett. Sie ging durch das Zimmer und hob eine Bluse und eine Jeans auf. Es war nichts beschädigt, stellte sie fest. Das war immerhin etwas. In Lilys Zimmer war alles in Ordnung, und das war das Wichtigste. Neugierig ging sie ins Bad. Ihre Toilettenartikel auf dem Regal waren zusammengeschoben worden. »Willst du mir damit etwa sagen, dass ich nicht hierher gehöre?«, fragte sie sich. »Dass man mir jederzeit sagen kann, ich soll meine Sachen packen und gehen? Vielleicht hast du ja Recht damit. Aber wenn es tatsächlich so weit kommen sollte, werde ich schon damit fertig. Du hast damit erreicht, dass ich noch eine Stunde aufräumen muss, bevor ich ins Bett kann. Aber mehr nicht.« Sie fing an, ihre Sachen aufzuräumen, Cremes, Parfüms, Lippenstifte, Wimperntusche. Das meiste davon waren Billigmarken, nur ab und zu einmal hatte sie sich etwas Teureres gegönnt. Manchmal wünschte sie sich, sie könnte sich etwas Besseres leisten. Das galt auch für ihre Kleidung, gestand sie sich ein, als sie ins Schlafzimmer ging, um dort Ordnung zu schaffen. Was war falsch daran, wenn sie sich wünschte, sie könnte sich bessere Qualität oder Designermarken leisten? Schließlich war es ja keine Sucht. Trotzdem wäre es schön, wenn in ihrem Schrank statt Sonderangeboten und Billigsachen schöne Kleider hingen. Seide und Kaschmir. Es würde sich so gut auf ihrer Haut anfühlen. Roz hatte unglaublich tolle Kleider, aber die Hälfte der Zeit lief sie in alten Männerhemden herum. Mehr als die Hälfte der Zeit.
Was für einen Sinn hatte es, so viele schöne Sachen zu besitzen, und sie dann nicht zu schätzen? Sie einfach im Schrank hängen zu lassen, obwohl jemand anders sie tragen könnte. Jemand, der jünger war und dem sie besser standen.
Jemand, der es sich verdient hatte, anstatt alles auf dem silbernen Tablett serviert zu bekommen. Und erst ihr Schmuck. Er war in einem Safe eingesperrt, obwohl er doch so gut um ihren eigenen Hals ausgesehen hätte. So glitzernd. Sie hätte ihn sich einfach nehmen sollen, hier ein Stück, da ein Stück. Es wäre nicht weiter aufgefallen. Alles, was sie wollte, war in Reichweite, sie brauchte es sich nur zu nehmen, warum also nicht ... Hayley ließ die Bluse fallen, die sie in der Hand gehalten hatte. So, wie eine Frau, die ein kostbares Abendkleid vor sich hält. Sich im Spiegel ansieht. Und an Diebstahl denkt. Ich nicht.
Zitternd starrte sie ihr Spiegelbild an. »Ich nicht«, sagte sie laut. »Das, was du brauchst, brauche ich nicht. Das, was du willst, will ich nicht. Du kannst dich vielleicht in meinen Kopf schleichen, aber du kannst mich nicht zwingen, so etwas zu tun. Niemals.« Sie ließ den Rest ihrer Sachen auf einen Stuhl fallen und legte sich angezogen aufs Bett. Und schlief mit Licht.
9. Kapitel
Hayley war froh, dass sie hinter der Verkaufstheke stand und die Kunden sie beschäftigt hielten. Amelia schien kein Interesse an ihr zu haben, wenn sie arbeitete. Wenigstens nicht bis jetzt. Sie wollte eine Liste machen und alles für Mitch aufschreiben, jeden Vorfall, an den sie sich erinnern konnte, und den Ort, an dem es passiert war - am Teich, in ihrem Schlafzimmer, im Kinderzimmer. Sie war sich zwar nicht sicher, aber sie hatte den Eindruck, dass sie manchmal nicht ganz bei sich gewesen war. Im Garten von Harper House zum Beispiel, als sie bei der Arbeit vor sich hin geträumt hatte. Wenn sie es erst einmal zu Papier gebracht hatte, würde es bestimmt nicht mehr so unheimlich sein. Zumindest nicht tagsüber, wenn Leute in der Nähe waren.
Sie hob den Kopf, als eine neue Kundin hereinkam. Jung, gute Schuhe, teurer Haarschnitt. Solides, verfügbares Einkommen, folgerte Hayley und hoffte, einen Teil davon ergattern zu können.
»Guten Morgen. Suchen Sie etwas Bestimmtes?«
»Nun ja, ich ... Tut mir Leid, ich glaube, ich habe Ihren Namen vergessen.«
»Ich heiße Hayley.« Sie musterte die Kunden noch etwas genauer, während sie gnadenlos weiterlächelte.
Stufig geschnittenes, blondes Haar mit Strähnen, schmales Gesicht, hübsche Augen - ein bisschen schüchtern.
Dann riss sie die Augen auf. »Jane? Roz' Cousine Jane? Heiliger Strohsack, hast du dich verändert!« Die Frau wurde rot. »Ich ... ich habe mir die Haare schneiden lassen«, murmelte sie, während sie mit der Hand durch ihren Stufenschnitt fuhr. »Du siehst großartig aus. Einfach toll.« Das letzte
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