Rote Spur
Antjie und Oom Joe gesehen, diese Genugtuung, die der Erzählung einer guten Geschichte vorausging. Denn Geschichten waren die soziale Währung der Karoo. Alle kannten eine. Leid, Glück, Triumph und Missgeschick – Geschichten, die definierten, charakterisierten, Einsicht boten. So anders als die Geschichten von Städtern, die man heutzutage auf Facebook oder Twitter nachlesen konnte, aufgehübscht, so dass alles toll aussah, schöner Schein, nichts dahinter.
»Oom Diederik hat viele Gesichter. Zum Beispiel die Sache mit dem Naturschutz. Er setzt alle Hebel in Bewegung, ich kenne keinen, der die Karoo mehr liebt. Und er ist sehr schlau«, fügte Lourens le Riche hinzu. Und dann, fast ehrfürchtig: »… wirklich sehr, sehr schlau …«
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Am leichtesten erlernt man das Spurenlesen mit einem erfahrenen Spurenleser an seiner Seite.
Grundzüge des Spurenlesens: Das Erlernen des Spurenlesens
Lourens erzählte mir die Geschichte, wie Diederik Brand einen Sechzehntonner Toyota Hino mit Doppeldecker-Schaftransport-Aufbau |140| für 400 000 Rand im
Landbouwweekblad
annonciert hatte.
»Drei Interessenten meldeten sich, und Oom Diederik sagte, der erste, der ihm die Summe bar einzahle, könne den Lkw abholen. Da zahlten alle drei das Geld ein, und Diederik sagte jedem, er könne den Lkw haben. Der Erste nahm den Truck mit. Als die anderen beiden auf der Farm ankamen, sagte Oom Diederik: ›Tut mir furchtbar leid, da muss wohl etwas schiefgelaufen sein. Aber lassen wir das Geschäft beiseite, kommt, ihr seid weit gefahren, heute Abend schlaft ihr hier, und wir machen es uns auf Karooart gemütlich, auf meine Kosten.‹ Er ließ ein großes Essen auffahren, spendierte Drinks und erzählte ihnen den ganzen Abend Geschichten und Witze, und als er sie an der Leine hatte, sagte er, keine Sorge, morgen händige ich euch jedem einen Scheck über den vollen Betrag aus, und sie verließen ihn als die dicksten Freunde. Doch eine Woche später riefen die beiden Männer an und beschwerten sich, ihre Schecks seien geplatzt und wo ihr Geld bleibe? Oom Diederik sagte, die Bank müsse einen Fehler gemacht haben, er werde seinem Filialleiter die Hölle heiß machen, er schicke sofort einen neuen Scheck. Eine Woche später – dieselbe Geschichte. Und so ging das etwa einen Monat lang, bis die beiden Männer begriffen, dass man sie an der Nase herumgeführt hatte. Es folgten Anwaltschreiben und Drohungen. Aber Oom Diederik kannte alle Tricks und behauptete, seine Kontoauszüge bewiesen, das Geld sei abgebucht worden, oder er verlangte Beweise, dass es einen Kaufvertrag gegeben hätte, den es natürlich nicht gab, weil alles mündlich abgewickelt worden war. Er ging nicht ans Telefon, er ließ sie zappeln und strich fast ein Jahr lang die Zinsen für die 800 000 ein, bis die Sache vor Gericht kam. Und dort sagte er ihnen auf der Treppe zum Gerichtsgebäude zu, dass sie ihr Geld bekämen, allerdings ohne die Zinsen, wenn sie die Klagen zurückzögen, und die Kerle waren so entnervt und dankbar, dass sie sich damit einverstanden erklärten.«
Allmählich verstand ich, warum mir alle rieten, mein Geld im Voraus zu verlangen.
|141| »Schlau, oder?«, sagte Lourens le Riche.
Bevor er mir mehr erzählen konnte, klingelte sein Handy. Es war Nicola, der wissen wollte, wo wir waren.
»In einer halben Stunde sind wir am Verladeplatz«, antwortete Lourens.
Als er sein Gespräch beendet hatte, fragte ich ihn: »Wie schnell kann die Kiste fahren?«
»Hängt davon ab, wie schwer die Fracht ist, Oom. Und mit dem Wild fahren wir eher langsam, so zwischen achtzig und neunzig.«
Vor Schwierigkeiten abzuhauen kam also nicht in Frage.
»Was wiegt so ein Nashorn?«
»Keine Ahnung.«
»Wie viel können wir zuladen?«
»So an die zwanzig Tonnen. Aber diese Fracht wird nicht annähernd so viel wiegen. Ich schätze, dass wir heute Abend nicht mehr als insgesamt fünf Tonnen laden.«
Mein Handy piepte. Eine SMS von Jeanette Louw, die Standardfrage um diese Uhrzeit:
ALLES KLAR?
Es wäre sinnlos gewesen, sie mit meinem Ärger zu behelligen. Also antwortete ich:
ALLES KLAR!
Ich hatte ein verstohlenes Schmugglertreffen im Dunkeln, umherschleichende Leute und gehetzte Flüsterstimmen irgendwo im dichten Wald erwartet. Stattdessen erwartete uns eine hell erleuchtete, geschäftige Farm am Limpopo, umgeben von bewässerten Feldern.
Ein Dutzend schwarzer Arbeiter hockte laut schwatzend auf dem Betonrand einer langgestreckten Stahlscheune und
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