Roter Drache
schließlich auch den Sprung in die Mannschaft, in der er sich von Anfang an hervorragend bewährte. Doch dann bekam er plötzlich diese Schluckbeschwerden. Sie versuchten zwar alles herauszuschneiden, aber es bildeten sich weiter Metastasen, die sich immer mehr ausbreiteten. Fünf Monate später war er tot. Willy war damals sechs.
Willy ließ sich nach wie vor kein Baseballspiel entgehen. Molly sah dagegen nur Baseball, wenn sie sich Sorgen machte.
Graham hatte keinen Schlüssel. Er klopfte.
»Ich mach’ schon auf.« Willys Stimme.
»Warte.« Mollys Gesicht zwischen den Vorhängen. »Gut.«
Willy öffnete die Tür. In seiner Faust hielt er eine Fischkeule..Graham spürte ein leichtes Ziehen in seinen Augenhöhlen. Der Junge mußte sie in seinem Koffer mitgebracht haben.
Molly nahm ihm die Einkaufstüten ab. »Möchtest du eine Tasse Kaffee? Es ist auch Gin im Haus, aber nicht unbedingt deine Lieblingsmarke.«
Als sie in der Küche verschwunden war, bat Willy Graham, mit ihm nach draußen zu kommen.
Von der Veranda an der Rückseite des Cottage konnten sie die Lichter der in der Bucht vor Anker liegenden Boote sehen.
»Gibt es irgend etwas, was ich besser wissen sollte, Will, damit ich auch wirklich auf Mom aufpassen kann?«
»Ihr seid hier beide in Sicherheit, Willy. Kannst du dich noch an den Wagen erinnern, der uns vom Flughafen ein Stück begleitet hat, um zu sehen, ob uns auch niemand gefolgt ist? Niemand wird herausfinden, wo du dich mit deiner Mutter aufhältst.«
»Dieser Irre will dich doch umbringen, oder nicht?«
»Das wissen wir nicht mit Sicherheit. Mir war nur nicht recht wohl in meiner Haut bei dem Gedanken, daß er inzwischen weiß, wo wir wohnen.«
»Wirst du ihn töten?«
Graham schloß für einen Moment die Augen. »Nein. Meine Aufgabe besteht nur darin, ihn zu finden. Dann werden sie ihn in eine Nervenheilanstalt stecken, um ihn zu behandeln und daran zu hindern, weitere Menschen umzubringen.«
»Tommys Mutter hatte zu Hause diese Zeitung rumliegen, Will. Dort stand, daß du in Minnesota einen Mann umgebracht und dann einige Zeit in einer Nervenheilanstalt verbracht hast. Das habe ich gar nicht gewußt. Stimmt das denn?«
»Ja.«
»Eigentlich wollte ich erst Mom fragen, aber dann dachte ich, es wäre doch besser, gleich dich zu fragen.«
»Ich finde es schön, daß du mich das so direkt fragst, Willy. Aber das war nicht einfach eine Nervenheilanstalt, sondern eine Klinik, in der sie auch normale Krankheiten behandeln.« Dieser Unterschied schien irgendwie von Bedeutung zu sein. »Ich lag in der psychiatrischen Abteilung. Es beunruhigt dich wohl etwas, feststellen zu müssen, daß ich in psychiatrischer Behandlung war - wohl weil ich mit deiner Mutter verheiratet bin.«
»Ich habe meinem Dad versprochen, gut auf sie aufzupassen. Und das werde ich auch.«
Graham hatte das Gefühl, Willy auf keinen Fall zuwenig erzählen zu dürfen. Aber auch nicht zuviel.
In der Küche ging das Licht aus. Er konnte Mollys Umrisse ganz schwach’ in der Fliegengittertür erkennen und wurde sich dabei der Bedeutung ihres Urteils bewußt. Sich mit Willy zu befassen bedeutete, sich in die intimsten Bereiche ihres Herzens vorzuwagen.
Da Willy nun eindeutig nicht mehr wußte, was er als nächstes fragen sollte, übernahm das Graham für ihn.
»In die Klinik wurde ich nach der Geschichte mit Hobbs eingeliefert.«
»Hast du ihn erschossen?«
»Ja.«
»Wie ist das passiert?«
»Um es gleich von Anfang an klarzustellen - Garrett Hobbs war geistesgestört. Er machte sich über Studentinnen her und... brachte sie um.«
»Wie?«
»Mit einem Messer. Ich fand in den Kleidern eines der ermordeten Mädchen ein stoffumwickeltes Stück Draht - wie von einer Rohrspirale. Vielleicht kannst du dich noch erinnern, wie wir neulich die Dusche im Garten repariert haben?
Ich nahm mir also alle Klempner, Installateure und ähnliche Leute vor. Das war ganz schön mühsam. Bei einer Baufirma stieß ich dann auf ein Kündigungsschreiben von Hobbs. Ich sah den Brief und fand ihn - na ja, irgendwie eigenartig. Er arbeitete nicht mehr, so daß ich ihn bei sich zu Hause aufsuchen mußte.
Zusammen mit einem uniformierten Polizeibeamten stieg ich die Treppe des Wohnblocks hoch, in dem Hobbs wohnte. Hobbs muß uns wohl kommen gesehen haben. Ich wollte eben die letzten Stufen zu dem Stockwerk hochsteigen, in dem seine Wohnung lag, als er seine Frau durch die Wohnungstür stieß, so daß sie tot die Treppe hinunterfiel.«
»Hat er sie umgebracht?«
»Ja.
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