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Roter Staub

Roter Staub

Titel: Roter Staub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul J. McAuley
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worden, und die Kieferknochen der
massigen Köpfe so groß, daß sie nur Brei mit Hilfe
eines Strohhalms fressen konnten; ihre muskulösen Hinterbeine
steckten in Stachelschienen und endeten in hakenförmigen Klauen.
Wetten wurden lautstark unter den Liebhabern abgeschlossen, die sich
rund um den großen Behälter scharten. Die Besitzer
kitzelten die Fühler ihrer Grillen, bis diese sich in einem
Gewirr aus Beinen und Flügeln im Zweikampf befanden,
eindringlich beobachtet von den Liebhabern, bis eine der Grillen
Ichor aus einem halb abgetrennten Kopf herauspumpte. Ihr Besitzer hob
sie angewidert aus dem Behälter und zertrat sie unter seiner
Sandale, während rings um ihn her Wetten in einem Schauer von
Berechtigungsscheinen bezahlt wurden.
    Hinter der Menge um die Kampfgrillen zeigte eine Wand die Handlung
der heroischen Oper, deren Musik über das öffentliche
Zugriffssystem gespielt wurde. Weiße Gesichter unter lackierten
Frisuren in der Totale, dazwischen geschnittene Panoramen der
Halbdutzend Hauptpersonen, die über eine breite schwarze
Bühne verstreut waren, mit dem Chor im Hintergrund. Es war eine
Oper über die letzten Tage des Mittleren Königreichs auf
Erden: eine Modell-Unternehmensfamilie versuchte, ihre Tochter von
dem sozialistischen Kriegsfürsten zurückzugewinnen, der sie
in ihre Dienste genommen hatte, in der Absicht, sie zu korrumpieren
und zu verführen. In einer komischen Nebenhandlung verspielte
der beschränkte jüngere Bruder Termingeschäfte in den
Mikrochip-Erzeugungstanks der Familie, um Waffen von den
Söldnern des Individualismus zu kaufen, die von dem Mädchen
angeführt wurden, in das er sich verliebt hatte. Alle zehn
Minuten wurde die Musik von Werbespots für Produkte oder Dienste
unterbrochen, die im Danwei nicht erhältlich waren: dies
war ein Band, das von einem billigen Studio irgendeines
Hinterhofbetriebs erworben worden war, und niemand hatte sich die
Mühe gegeben, es zu redigieren. Die Handlung auf dem Schirm ging
ungeachtet dessen weiter, ob Musik oder Werbespots spielten, was den
Vorgängen eine surreale Aura verlieh, ziemlich so wie bei einem
von den geretteten Filmen des Kings.
    Weder die Oper noch das Gemurmel der Leute im Park war lauter als
das Heulen des Sturms. Ein feiner Dunstschleier lag in der Luft: er
stach in die Nase und hinterließ einen Geschmack nach Eisen,
nach Blut im Mund. Beim Reden nahm Lee Schluck um Schluck des dicken
gegorenen Biers zu sich, um den Geschmack des Staubs wegzuwaschen.
Staubig genug wäre es, wohin er ginge.
    »Ich sage noch immer, du bist verrückt«, sagte
Guoquiang, als Lee zu Ende gekommen war.
    »Bedeutet das, daß du mir nicht helfen wirst?«
fragte Lee.
    »Natürlich werde ich dir helfen.«
    Lee unterdrückte sein Lächeln. Armer Guoquiang. Jetzt
war er an der Reihe, in eine Falle zu tappen. Er hatte versprochen,
Wei Lee beizustehen, und jetzt, da er um diesen Gefallen gebeten
worden war, hatte er keine andere Wahl.
    Xiao Bing sagte: »Was wirst du tun, Wei Lee? Dich an die Ku li wenden?«
    »Sie werden dich zur Strecke bringen«, sagte Guoquiang.
»Besser, du trinkst das bittere Wasser von Bitterwasser, Lee.
Der Sturm wird abflauen, und wir können gehen, ehe die
Sprachrohr-des-Volkes-Armee dich holen kommt.«
    »Sie werden mich früher als zum Ende des Sturms holen
kommen. Und es ist besser, das Bier von Bitterwasser zu trinken als
das bittere Wasser von Bitterwasser. Ich werde uns noch eins
besorgen.«
    »Du solltest mir sagen, was sie von dir benötigen,
daß du dein Leben riskierst.«
    »Sie haben mich zur Geheimhaltung verschworen.« Lee
knallte eine Bezugsschein-Münze auf die gekachelte
Oberfläche des Karrens und bat das Mädchen um weitere
Biere.
    Das Mädchen sagte: »Habt ihr nicht genug gehabt,
Bürger Anteilseigner?«
    Sie war sechs oder sieben, das Haar in einem dicken Pferdeschwanz
aus ihrem runden Gesicht zurückgekämmt. Sie sprach zu
Guoquiang und Xiao Bing, wandte das Gesicht von Lee ab.
    »Sie können mit mir trinken«, sagte Lee, vom Bier
mutig gemacht.
    Das Mädchen errötete und eilte, die Becher aus ihrem
Krug zu füllen. Schaum lief an den Seiten der Becher herab und
bedeckte die Kacheln mit Pfützen. Sie schnappte mehr oder minder
nach der Münze, die Lee ihr hinhielt, und er lachte und wand sie
ihr aus der ausgestreckten Hand, ehe er sie auf die nassen Kacheln
warf. Er konnte die Schande seiner Ungnade wie eine Waffe benutzen,
so, wie ein Spiegel Laserlicht reflektiert. Es war interessant.
    Als die

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