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Roter Staub

Roter Staub

Titel: Roter Staub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul J. McAuley
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verfilzten hyphalen Vorhang der Flechten
und kletterte mühsam über die Düne staubigen Sands,
welche den Eingang halb verschluckt habe. Die Luft war klar, obgleich
der Himmel noch immer voller Staub war: die Sonne war ein breiter
verschmierter Fleck von Rot und Orange in einem rosafarbenen Himmel.
Wind peitschte Tücher von Sand von den scharfen Kämmen
neuer Dünen, aber er flüsterte jetzt lediglich noch.
    Das Streitroß kniete halb vergraben unten am Hügel des
Flechtenwäldchens. Lee befreite ihm die Augen und die Schnauze
von dem Haarnetz, das es um sich herum gesponnen hatte, und blies ihm
in die Nasenlöcher, bis es schauderte und erwachte. Es drehte
den Kopf und schnappte halbherzig nach ihm.
    Lee ging davon, um Drahtschlingen als Fallen an Bauen von
Eismäusen aufzustellen; Nahrung würde dem Streitroß
bei der Wiederbelebung helfen. Als er und Miriam in der heulenden,
stauberfüllten Dunkelheit zu dem Flechtenwäldchen
hinaufgestolpert waren, hatten sie bereits die Orientierung verloren.
Jetzt sah Lee, daß das Flechtenwäldchen sich oben an einem
Überflutungs-Kieselbett entlangzog, das sich um eine Schleife
des vom Staub verschluckten Flusses herumbog. Oben stiegen geriffelte
Sandsteinfelsen zum roten Himmel, deren Spitze von einem uralten
Krater eingeschlagen worden war; auf der anderen Seite des Flusses
verlief eine Hügelkette aus Sandstein, gezeichnet von fossilen
Flußbettspuren wie die Daumenabdrücke des Schöpfers,
hinüber zu Klippen in einem Kilometer Entfernung, verschleiert
von dem Staub, der noch immer in der Luft hing.
    Innerhalb einer Stunde fing Lee ein Dutzend Eismäuse und
Wüstenratten, aber als er zurückkehrte, graste das
Streitroß an einem Bestand Feigenkakteen, wobei es die
stacheligen Paddel mit einer vorderen Gliedmaße aus den
Staubdünen ausgrub. Es beroch Lees Geschenk und warf angewidert
den Kopf hoch, dann trat es zurück und entfaltete die
geriffelten Ohren, die hierhin und dorthin zuckten.
    Nach einem Augenblick hörte Lee, was das Streitroß
erregt hatte. Es war das zitternde Pochen einer Friedenstaube.
     
    Miriam innerhalb des feuchten und riechenden Spalts in dem
Flechtenwäldchen war wach. Als Lee ihr von der Friedenstaube
erzählte, sagte sie: »Also sind wir nicht weit genug
gelaufen. Du hast nur eine Wahl. Töte mich und bleib am
Leben.«
    Lee öffnete den Mund und lächelte
verständnislos.
    »Ich sterbe. Ich gehe lieber rasch und schmerzlos, als
daß ich mir den Körper unter einem Verhör
auseinanderreißen lasse. Ich habe mein ganzes Leben damit
verbracht, ihn in Form zu bringen, und ich möchte nicht sehen,
wie er verstümmelt wird.«
    Sie meinte es ziemlich ernst. »Du meinst das nicht
ernst«, sagte Lee.
    Sie hielt ihm die große Taschenlampe entgegen. »Die
wird’s tun. Ich habe den Laser fokussiert und die Sicherung der
Energieversorgung kurzgeschlossen. Du hast nur einen Schuß,
aber er wird ausreichen. Drücke ihn gegen meine
Schädeldecke, und er wird mein Gehirn braten. Ich sehe
vielleicht noch nicht einmal den Blitz.«
    Sie warf ihm die Lampe entgegen, und er mußte sie nehmen
oder fallenlassen. Dann beugte sie sich zu ihm und legte ihm ihre
Lippen auf die seinen. Ihre warme feuchte Zunge stemmte ihm die
Lippen auf, schlängelte sich tief in seinen Mund. Erstaunt fing
Lee an, den Kuß zu erwidern, doch Miriam entzog sich.
    »Es ist vollbracht«, sagte sie, »zum Besseren oder
Schlimmeren. Wei Lee, wir haben einander nicht sehr lange gekannt,
und das ist ein verdammt – habe ich das richtig mitbekommen
– großer Gefallen, um den ich bitte, selbst bei einem
nahestehenden Freund, aber es ist der einzige Gefallen, um den ich je
bitten werde. Siehst du, ich kann’s nicht selbst tun. Ich bin
blockiert worden, damit sich die Guten nicht selbst Schaden
zufügen.«
    »Oh. Hast du dich deswegen nicht umgebracht, als du
gefangengenommen worden bist?«
    »Ich würde nicht reden«, sagte Miriam. »Es
spielt keine Rolle, was sie mir antun, ich würde niemals reden. Und das hat nichts mit einem Block zu tun. Es ist
professioneller Stolz. Aber ich möchte das nicht durchmachen,
verstehst du?«
    »Ich verstehe«, sagte Lee und hob die Lampe. Vielleicht
sah sie im letzten Augenblick, was er beabsichtigte, weil sie ihre
Hände heben wollte, zu spät, als er ihr die schwere Lampe
über die Schädeldecke zog.
    Sie war so leicht wie ein Vogel, als wären alle ihre Knochen
hohl. Obgleich Lee Schwierigkeiten dabei hatte, sie durch den Knick
des mit Hyphen verstopften

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