Roter Staub
Einwohner des Tals, die ihrem
Leben nachgingen: heimliches Rascheln und schwaches Quietschen oder
Gezirpe; einmal der Schrei einer Eule, ein leiser dumpfer Schlag, als
sie wenige Meter von Lee entfernt auf ihr Opfer niederfiel, das
rauschende Ächzen ihrer Flügel, als sie sich mit ihrer
Beute erhob.
Marsianer.
Unter den Lauten der winzigen Lebewesen lag das uralte Schweigen
des Planeten, weit und leer wie ein Ozean. Das Schweigen der Felsen;
das Schweigen, das von vor dem Beginn der Geschichte war; das
träumerische Schweigen, das im Zentrum eines jeden Gedankens
wohnte, das das Bewußtsein mit einem unbeschreiblich
süßen Verlangen erfüllte.
Das Schweigen, das die Conchie-Prediger über das Antlitz des
Mars ausbreiten wollten, ein trockenes Ende von Geschichte und
Leben.
Lee ließ die schlafende Miriam zurück und sammelte die
Materialien, die er benötigte, um ein Feuer zu machen. Die
Sterne gaben genügend Licht, um in dem körnigen Schwarz und
Weiß zu sehen, und als Lee den Weg zurück zu der Lichtung
nahm, die Arme beladen mit stacheligem trockenem Heidekraut, senkte
sich der Einschnitt des Tals und enthüllte Jupiter, und die
Hänge wurden von seinem kalten gelben Licht überflutet. Im
selben Augenblick trieben die Sterne herab, bewegten sich rasch und
schweigend auf Lee zu. Er hatte kaum Zeit, sie zu bemerken, ehe sie
über ihm waren. Er rief Miriam eine Warnung zu, und etwas traf
ihn, daß er auf die Knie sank. Sterne sausten schwindelerregend
dahin; Lee fiel hinauf in die Nacht.
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17
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Ein Pantheon roter und goldener Gestalten marschierte auf Lee zu.
Er lag auf einem Strohsack inmitten eines ebenen Felds von Sternen,
die im Schleier ihrer eigenen Hitze schwammen. Über ihm
saß ein gigantischer, goldhäutiger Mann, in Grün und
Rot gekleidet, im Schneidersitz auf einem goldbeschlagenen Thron.
Sein Blick war ruhig und ernst, seine Augen so weit geöffnet,
daß sich überall um die Pupillen herum das Weiße
zeigte. Blumen waren ihm zu Füßen verstreut.
Stimmen murmelten einander zu:
- Dies ist der junge Han, Herr.
- Er ist kein Soldat. Und die andere? Wird sie leben oder
sterben?
- Wir wissen es nicht, Herr.
- Wir werden für sie beide beten.
Lee versuchte, Miriams Namen auszusprechen. Er konnte sich nicht
bewegen, dennoch kippte das Sternenfeld und wich zurück. Eine
Tiermaske grinste boshaft auf ihn herab; dahinter blickte ihm ein
braunes menschliches Auge in das seine. Mit dem Schock des Umschwungs
sah Lee, daß es keine Maske war, sondern ein Gesicht, halb
Affe, halb Mensch. Die Kreatur grinste und zeigte dabei gelbe
Fänge, zwischen denen eine rote Zunge heraushing, und Lee schrie
auf.
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18
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Lee erwachte auf einer harten Matratze in einer schmalen Nische,
die in die Sandsteinmauer einer kleinen Zelle geschnitten war. Eine
primitive Lampe vergoß ein warmes Licht und erfüllte die
feuchte Luft mit dem Gestank nach ranziger Butter. Ein
kahlgeschorener alter Mann, gekleidet in lose orangefarbene Roben,
die mit einer gelben Schärpe gegürtet waren, saß im
Schneidersitz auf dem Fußboden. Er strickte einen Strang
ungefärbten Garns zu einer Art Mütze und spähte durch
eine schmetterlingsförmige Brille, die auf der scharfen
spitzigen Nase saß, auf die Stricknadeln. Feine Linien
strahlten von seinen Augen ab, ansonsten jedoch war sein Gesicht so
glatt und plump wie das eines Babys.
Als er sah, daß Lee erwacht war, legte er sein Strickzeug
beiseite, hüpfte flink zur Tür und läutete eine
silberne Glocke. Dann half er Lee beim Anziehen, lose schwarze Hosen,
eine orangefarbene Robe, Sandalen.
Der alte Mann sagte, sein Name sei Pemba, daß er einer der
Mönche der Kailas-Lamaserie sei. Lee hatte von diesem Ort nie
gehört. Er wußte von tibetischen Untergrund-Lamaserien,
aber die meisten lagen in Ruinen, und keine lag innerhalb von tausend
Kilometern um das Danwei von Bitterwasser. Das Streitroß
war rasch gewesen, jedoch selbst es hätte inmitten eines Sturms
nicht so weit reiten können. Als Lee fragte, wo denn Kailas
läge, antwortete Pemba heiter, daß er es nicht sagen
könne. »Es gehört zu der Zeit vor den Han. Es
gehört den ursprünglichen Menschen.«
Lee wollte fragen, ob der alte Mönch ein Ku li sei;
aber das war die eine Frage, die er sicher nicht stellen durfte, und
abgesehen davon war er sich ziemlich gewiß, daß er die
Antwort wußte. Statt dessen fragte er nach Miriam Makepeace
Mbele. »Die Yankee-Frau, mit der
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