Roter Zar
sagte Pekkala.
»Du bist die einzige noch lebende Person, die die Romanows persönlich kannte und mit polizeilicher Ermittlungsarbeit vertraut ist. Du kannst die Leichen eindeutig identifizieren. Wir dürfen uns keine Fehler erlauben.«
Pekkala zögerte, bevor er darauf etwas sagte. »Das erklärt, warum Stalin nach mir schickt, aber nicht, was du hier machst.«
Anton öffnete die Hände und legte sie bedächtig wieder zusammen. »Das Büro war der Meinung, es könnte hilfreich sein, wenn dir ein vertrautes Gesicht das Angebot unterbreitet.«
»Angebot?«, fragte Pekkala. »Welches Angebot?«
»Bei erfolgreicher Beendigung dieser Ermittlungen wird dir deine Strafe im Gulag erlassen. Du kommst frei. Du kannst das Land verlassen. Du kannst überallhin.«
Pekkala konnte es nicht glauben. Ihm waren in der Vergangenheit zu viele Lügen erzählt worden, um das Angebot ernst zu nehmen. »Was bekommst du dafür?«
»Diese Beförderung ist meine Belohnung«, erwiderte Anton. »Seit dem Verschwinden der Romanows wurde ich immer übergangen, egal, wie sehr ich mich angestrengt oder wie loyal ich mich erwiesen habe. Bis letzte Woche war ich Unteroffizier in einem fensterlosen Büro in Moskau. Meine Aufgabe bestand darin, über heißem Wasserdampf Briefe zu öffnen und alles abzuschreiben, was regierungskritisch klang. Es sah ganz danach aus, dass ich mehr nicht erreichen könnte. Bis das Büro angerufen hat.« Anton lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. »Wenn die Ermittlungen erfolgreich sind, bekommen wir beide eine zweite Chance.«
»Und wenn nicht?«, fragte Pekkala.
»Dann kehrst du nach Borodok zurück«, sagte Anton, »und ich werde wieder Briefe öffnen.«
»Was ist mit diesem Kommissar? Was macht er hier?«
»Kirow? Der ist noch ein Kind. Er war Kochlehrling, bis man seine Schule geschlossen hat und er stattdessen auf die Politakademie geschickt wurde. Es ist sein erster Auftrag. Offiziell ist Kirow unser politischer Verbindungsmann. Aber bislang weiß er noch nicht einmal, worum es hier geht.«
»Wann willst du es ihm erzählen?«
»Sobald du dich bereit erklärt hast, uns zu helfen.«
»Politischer Verbindungsmann«, sagte Pekkala. »Dein Büro traut uns beiden anscheinend nicht.«
»Gewöhn dich daran«, sagte Anton. »Heutzutage traut man keinem mehr.«
Ungläubig schüttelte Pekkala den Kopf. »Herzlichen Glückwunsch.«
»Wofür?«
»Für das Chaos, das ihr in diesem Land angerichtet habt.«
Anton stand auf. Sein Stuhl schrappte kreischend über den Boden. »Der Zar hat bekommen, was er verdient hat, und du auch.«
Sie standen sich von Angesicht zu Angesicht gegenüber, nur der Schreibtisch als Barriere zwischen ihnen.
»Vater wäre wirklich stolz auf dich gewesen.« Pekkala konnte seine Verachtung nicht verbergen.
Bei der Erwähnung ihres Vaters verlor Anton die Beherrschung. Er holte aus und verpasste Pekkala über den Tisch hinweg einen Faustschlag gegen die Schläfe.
Pekkala taumelte, gewann aber rasch wieder das Gleichgewicht.
Anton kam um den Schreibtisch herum und landete den nächsten Schlag gegen die Brust seines Bruders.
Pekkala kam ins Straucheln, bevor er mit einem lauten Aufschrei Anton an den Schultern zu fassen bekam und ihm die Arme zur Seite wegdrückte.
Die beiden Männer torkelten rückwärts, brachen durch die Bürotür, deren dünnes Holz splitterte, und krachten in den schmalen Gang. Anton schlug als Erster auf dem Boden auf.
Pekkala fiel über ihn.
Kurz waren beide überrascht.
Dann packte Anton Pekkala am Hals.
Hasserfüllt starrten sich die beiden Männer an.
»Du hast mir gesagt, es wäre jetzt anders«, keuchte Pekkala, »aber da hast du dich geirrt. Zwischen uns hat sich nichts geändert.«
Wutentbrannt zerrte Anton seine Pistole aus dem Gürtel und rammte seinem Bruder den Lauf gegen die Schläfe.
Noch am gleichen Tag, an dem er in Petrograd eintraf, meldete sich Pekkala als Kadett zum Finnischen Garderegiment.
Er erfuhr bald, warum Anton aus dem Regiment ausgeschlossen worden war.
Anton war beschuldigt worden, aus der Truhe eines anderen Kadetten Geld gestohlen zu haben. Zunächst hatte er alles abgestritten. Man konnte keine Beweise gegen ihn vorbringen, außer dass er just zu dem Zeitpunkt über Geld verfügte, als dem anderen eine bestimmte Summe abhandengekommen war. Doch an dem Abend, als der bestohlene Kadett seinem Bettnachbarn davon erzählte, bemerkte er etwas auf seiner Truhe neben dem Bett. Er saß auf der Bettkante und beugte sich vor,
Weitere Kostenlose Bücher