Roter Zar
unpraktisch.
Pekkalas mangelndes Interesse am Reichtum verwirrte den Zaren. Er war es gewohnt, dass die Menschen neidisch waren; dass Pekkala nicht den geringsten Neid zeigte, wollte dem Zaren nicht in den Kopf. Gelegentlich versuchte er Pekkalas Interesse an den Elfenbein- oder Ebenholzintarsien eines Tisches zu wecken oder an den Damaszenerläufen zweier Duellpistolen, er ging sogar so weit, sie Pekkala als Geschenk anzudienen. Gewöhnlich lehnte Pekkala solche Offerten ab, er nahm nur kleine Gefälligkeiten an, und auch dann nur, wenn der Zar ein Nein partout nicht akzeptierte. Letztlich war es der Zar, der neidisch auf Pekkala war – nicht wegen der Dinge, die er besaß, sondern wegen jener, derer er nicht bedurfte.
Das Bernsteinzimmer allerdings stellte alle anderen Schätzen des Zaren in den Schatten. Selbst Pekkala konnte sich seinem Zauber nicht entziehen.
Er durchquerte das weiße und das karmesinrote Speisezimmer, dabei fiel ihm ein großer Mann in Uniform auf, der gerade aus dem Bernsteinzimmer kam, hinter sich die Tür schloss und mit federnden Schritten durch die Porträtgalerie ging.
Pekkala bemerkte den makellosen Sitz der maßgeschneiderten Uniform und den leicht o-beinigen Gang des Kavallerieoffiziers. Der Mann hatte ein hageres Gesicht, das von einem steifen, gewichsten Bart noch betont wurde.
Er ging direkt an Pekkala vorbei, ohne ihn zu grüßen, schien sich dann aber eines Besseren zu besinnen, blieb stehen und drehte sich um. »Pekkala?«, sprach er ihn an.
Pekkala zog die Augenbrauen hoch und wartete, dass der andere sich vorstellte.
»Major Koltschak!«, sagte der Mann lauter, als es in der engen Galerie nötig gewesen wäre. Er streckte ihm die Hand hin. »Freut mich, dass wir die Gelegenheit haben, uns kennenzulernen.«
»Major«, sagte Pekkala und schüttelte ihm die Hand. Er wollte ihn nicht beleidigen, indem er ihm sagte, dass er von ihm noch nie gehört habe.
»Sie werden erwartet, nehme ich an.« Mit einem Nicken wies Koltschak in Richtung Bernsteinzimmer.
Pekkala bejahte. Der Major nickte nur und verabschiedete sich.
Pekkala klopfte an und trat ein.
Ohne das einfallende Sonnenlicht erschienen die Bernsteinwände fleckig und stumpf. Ihm war, als wäre er in eine Höhle getreten, nicht in ein Zimmer des Katharinenpalastes.
Der Zar saß auf einem Stuhl am Fenster. Daneben stand ein kleiner Tisch, auf dem eine Kerze brannte – der Kerzenhalter hatte die Gestalt eines Hundes, der den Mond anheulte und in dessen Gebiss die Kerze steckte. Daneben lagen, ordentlich übereinander, zwei Bücher.
Nur im schmalen Bereich des Kerzenscheins schien der Bernstein zu glühen. Der Zar selbst hatte eher etwas von einer in der Dunkelheit schwebenden geisterhaften Erscheinung an sich. Auf seinem Schoß lag ein Stapel Dokumente – nichts Ungewöhnliches, da er sein eigener Sekretär war. Was jedoch auch bedeutete, dass er oft genug mit der Schreibarbeit überlastet war.
»Sie haben Major Koltschak getroffen?«, fragte der Zar.
»Kurz«, erwiderte Pekkala.
»Koltschak ist ein äußerst findiger Mann. Ich habe ihn mit der ungewöhnlichen Aufgabe betraut, für die Sicherheit meiner privaten Finanzrücklagen zu sorgen. Wir haben uns darauf geeinigt, sie im Notfall an einem Ort zu verstecken, wo sie, so Gott will, nicht gefunden werden.« Der Zar hob den Dokumentenstapel an und ließ ihn wieder in seinen Schoß fallen. »Also«, sagte er. »Sie kommen spät.«
»Ich entschuldige mich, Exzellenz«, sagte Pekkala und wollte bereits zu einer Erklärung ansetzen, doch der Zar fiel ihm ins Wort.
»Wie war die Gerichtsverhandlung?«
»Lang, Exzellenz.«
Der Zar deutete zu den beiden Büchern. »Ich habe etwas für Sie.«
Bei näherer Betrachtung bemerkte Pekkala, dass es gar keine Bücher waren, sondern Holzkästchen.
»Los, öffnen Sie sie«, sagte der Zar.
Pekkala nahm das obere, etwas kleinere Kästchen zur Hand. Er machte es auf, und sein Blick fiel auf jenen Gegenstand, der in den Folgejahren zu seinem Markenzeichen werden sollte.
»Ich habe beschlossen«, sagte der Zar, »dass der Titel eines Sonderermittlers ungenügend ist. Er bringt in keiner Weise die Gewichtigkeit Ihrer Stellung zum Ausdruck. Es gibt andere Sonderermittler bei der Polizei, aber niemanden in einer Position wie der Ihren. Mein Großvater hat die Gendarmerie gegründet, mein Vater die Ochrana. Und Sie sind meine Schöpfung. Sie sind einzigartig, Pekkala, und deshalb werden Sie von nun an dieses Abzeichen tragen.
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