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Roter Zar

Roter Zar

Titel: Roter Zar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Eastland
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Mann fragen, den Sie auf die Straße geworfen haben«, erwiderte Pekkala.
    »Aber das ist meine Dienststelle«, flüsterte der Polizist. »Ich habe hier das Sagen.« Er sah zu Anton und flehte ihn wortlos um Hilfe an.
    Antons Miene blieb ungerührt. »Ich schlage vor, Sie schaffen sich hier fort, solange Sie dazu noch in der Lage sind«, sagte er leise.
    Der Beamte trat demütig zur Seite.
    Den Blick auf Pekkala gerichtet, wies Anton mit einem Nicken zu seinem Büro am Ende des Gangs. »Bruder«, sagte er, »es ist an der Zeit, dass wir miteinander reden.«

Es war zehn Jahre her, dass sie sich zum letzten Mal gesehen hatten – auf einem öden, vereisten Bahnsteig, auf dem Gefangene nach Sibirien abtransportiert wurden.
    Mit geschorenem Kopf, in den fadenscheinigen beigefarbenen Baumwollsachen, die ihm im Gefängnis gegeben worden waren, kauerte sich Pekkala an die anderen Verurteilten und wartete auf das Eintreffen des Konvois ETAP -
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. Niemand sprach. Immer mehr Gefangene kamen an, nahmen ihren Platz auf dem Bahnsteig ein und legten sich wie die Schalen einer Zwiebel um die durchgefrorenen Männer.
    Die Sonne war bereits untergegangen. Beinlange Eiszapfen hingen vom Bahnhofsdach. Der Wind fegte über die Gleise und wirbelte Schnee auf. An beiden Enden des Bahnsteigs standen Wachen mit geschulterten Gewehren an Ölfässern, in denen Feuer entfacht worden waren. Funken stoben in die Luft und erhellten ihre Gesichter.
    Irgendwann in der Nacht traf endlich der Zug ein. Zwei Wachen standen an jeder geöffneten Waggontür. Als Pekkala einstieg, fiel sein Blick zufällig auf das Bahnhofsgebäude. Und dort, im Licht eine Ölfasses, hielt ein Soldat seine geröteten Hände über die Flammen.
    Ihre Blicke trafen sich.
    Pekkala hatte gerade noch Zeit, um Anton zu erkennen, bevor er von einer Wache in die Dunkelheit des eisigen Waggons gestoßen wurde.

P ekkala hielt sich das Rasiermesser an die bärtige Wange und überlegte, wie er anfangen sollte.
    Früher hatte er sich einmal im Monat rasiert, aber die alte, wohlgehütete Klinge war eines Tages zerbrochen, als er sie an der Innenseite seines Gürtels abgezogen hatte. Das war Jahre her.
    Seitdem hatte er sich manchmal mit einem Messer über die Haare hergemacht, hatte sie büschelweise abgesägt, während er nackt im eiskalten Wasser des Baches unterhalb seiner Erdhütte saß. Jetzt aber, als er auf der verdreckten Toilette der Polizeidienststelle stand, eine Schere in der einen und ein Rasiermesser in der anderen Hand, erschien ihm die vor ihm liegende Aufgabe als unüberwindlich.
    Fast eine Stunde lang fuhrwerkte er mit den Gerätschaften herum, biss vor Schmerz die Zähne zusammen und rieb sich das Gesicht mit der grobkörnigen Wäscheseife ein, die man ihm zusammen mit dem Rasiermesser gegeben hatte. Er versuchte den Uringestank auszublenden, den abgestandenen Tabakrauch, der in den Fugen zwischen den blassblauen Kacheln hing, und den aseptischen Geruch des von der Regierung gestellten Toilettenpapiers.
    Allmählich tauchte im Spiegel ein Gesicht auf, das Pekkala kaum mehr kannte. Blut rann ihm von Kinn, Oberlippe und der Stelle unterhalb der Ohren, nachdem der Vollbart endlich entfernt war. Er griff sich einige Spinnweben aus einer verstaubten Ecke und legte sie zum Stillen der Blutung auf die Wunden.
    Als er aus der Toilette trat, bemerkte er, dass seine alten Sachen fort waren. An ihrer Stelle fand er andere Kleidung vor, die Sachen, die er getragen hatte, als er damals verhaftet worden war. Sogar sie hatte man aufbewahrt. Er zog das graue, kragenlose Hemd an, schlüpfte in die schwere Moleskin-Hose und die schwarze, mit vier Taschen versehene Weste. Unter dem Stuhl standen seine schweren knöchelhohen Stiefel, in denen jeweils, ordentlich zusammengerollt, die Fußlappen,
Portjanki,
gestopft waren.
    Er legte das Holster an, schloss den Riemen über der Hüfte und justierte alles so, dass der Revolvergriff genau links unterhalb des Brustkorbs saß und er den Webley in einer einzigen fließenden Bewegung ziehen und abfeuern konnte – was ihm mehr als einmal das Leben gerettet hatte.
    Das letzte Kleidungsstück war ein enganliegender Mantel aus dem gleichen schwarzen Wolltuch wie die Weste. Er war geknöpft wie ein zweireihiges Jackett, reichte eine Handbreit unter die Knie, und im Unterschied zu den russischen Armeemänteln mit ihrem breiten Revers hatte er einen schmalen Kragen, unter dem er das Smaragdauge befestigte.
    Erneut betrachtete er sich im Spiegel.

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