Rotes Gold: Ein kulinarischer Krimi. Xavier Kieffers zweiter Fall
beispielsweise Pekka Vatanen, keine festgefügten Vorurteile, was Menschen bestimmter Nationalitäten anging. Weder hielt er Griechen grundsätzlich für faul, noch unterstellte er Franzosen angeborene Arroganz oder Deutschen ein immanentes Stildefizit. Jeder war ein Individuum, jeder verdiente es, dass man ihm zunächst unvoreingenommen und ohne Dünkel gegenübertrat. Das war die feste Überzeugung, die er sich über mehrere Jahrzehnte in diversen international besetzten Restaurantküchen angeeignet hatte, wo Herkunft keine Rolle spielte.
Das alles galt freilich nur für Einzelpersonen. So unberechenbar Individuen waren, so vorhersehbar war das Verhalten von Gruppen. Um dies zu verstehen, musste man kein Soziologieseminar absolvieren. Es reichte, einfach ein paar Jahre Reisegruppen in Restaurants zu beobachten. Ein Italiener war nicht lauter als ein Norweger; zehn Italiener hingegen versetzten ein ganzes Restaurant in Vibration. Irgendwo in Kieffers Kopf war eine umfängliche Typologie ausländischer Reisegruppen verstaut, die er nun, die Reservierung betrachtend, wieder hervorkramte.
Japaner waren ihm am liebsten. Sie kamen zur vereinbarten Zeit, waren höflich, leise und bestellten alle exakt das, was ihnen ihre Reiseführerin vorschlug. Franzosen waren schon schwieriger. Hier gab es zwar keine Sprachbarriere, dafür würden französische Gäste aus Prinzip an jedem Gang herummäkeln; sie speisten außerhalbFrankreichs, ergo war das Essen bestenfalls zweitklassig. Mit indignierter Miene würden sie ihre Teller mustern und sagen: »Ce n’est pas bien fait.« Das ist nicht gut gemacht. Und weil in jedem Franzosen ein Experte steckte, würden sie im Folgenden ihrem Nebenmann oder jedem anderen Gast, dessen sie habhaft werden konnten, erklären, wie man Lamm, Wachtel oder Languste eigentlich zubereiten musste.
Italiener waren nicht ganz so pingelig, würden aber jeder ein A-la-carte-Menü mit fünf Gängen ordern und zwischendurch immer wieder die Bestellungen ändern. Bevor sie ihre Speisen an- oder ungegessen zurückgehen ließen, unterhielten sie zudem das gesamte Lokal, und zwar in einer Lautstärke, die alle nordeuropäischen Gäste binnen kürzester Zeit zur Flucht veranlasste. An der Spitze der Kieffer’schen Horrorskala standen Russen und Chinesen. Erstere waren rüde gegenüber dem Personal, hatten keine Tischmanieren und schwankten schon, bevor sie das Lokal betraten. Letztere tauchten stets in ameisenhafter Zahl auf. Zudem war ihnen nicht begreiflich zu machen, dass es Orte gab, an denen man nicht rauchen durfte.
Die Nationalität machte einen Unterschied. Kieffer behielt seine Erkenntnisse jedoch lieber für sich, schaute Claudine einfach an und legte dabei seinen Kopf schief.
»Ist ja gut, ich klär’s.« Sie drehte sich weg und schickte sich an, nach unten zu gehen.
Er räusperte sich. »Claudine, da ist noch etwas. Hast du schon mal … hast du schon mal von Wiffti gehört?«
»Ist das ein Gericht, Xavier?«
»Nein, Internet.«
»Meinst du Wifi? Also, WLAN ?«
Er zuckte mit den Achseln. »Ech hu keng Ahnung. Ich meine dieses Internet ohne Kabel, per Funk. Das ist doch Funk oder? Egal. Also ich denke, wir brauchen so etwas.«
Claudine musterte ihn, als hätte er gerade vorgeschlagen, zu den Lëtzebuerger Wäinzossis statt Senfsauce fortan Ketchup zu reichen. Schließlich grinste sie. Kieffer strich mit der rechten Hand über seine Küchenschürze. »Ich weiß nicht, wie man so was installiert. Ich dachte, du könntest dich vielleicht drum kümmern.«
Sie nickte. Das Grinsen schien sich in ihrer unteren Gesichtshälfte dauerhaft festgesetzt zu haben. »Ich kümmere mich drum, Xavier. Sollte kein Problem sein.« Dann ließ sie ihn allein. Kieffer durchblätterte noch einmal sein Reservierungsbuch und überprüfte die Vorräte, um ganz sicher zu gehen, dass nichts fehlte, was er an diesem Abend brauchte. Nun griff er sich aus dem Kühlschrank zwei der Thunsteaks, die er bei Pombal erworben hatte. Pekka war sicher hungrig und was war naheliegender, als sich dem Thema über ein gutes Stück Yellowfin zu nähern? Er wusch die weinroten Fischstücke unter warmem Wasser ab, tupfte sie mit Küchenpapier trocken und legte sie auf sein Schneidebrett. Mit seinem japanischen Sashimimesser schnitt er einige Fitzel und Hautstücke weg. Kieffer betrachtete die Steaks eingehend. Er drückte sie zwischen Daumen und Zeigefinger, strich über die schmale Hautseite an den Rändern. Dann hielt er sich eines
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