Rotes Gold: Ein kulinarischer Krimi. Xavier Kieffers zweiter Fall
eine Halbkugel dieser Größe fasse über 50 Millionen Liter. Die ganze Sphäre hatte folglich ein Fassungsvermögen, das vermutlich jenes des Luxemburger Olympiaschwimmbads auf dem Kirchberg überstieg.
Während sich Kieffer noch den Hals verrenkte, hatte der Raís bereits begonnen, sich an der dicken, aus Kunstfaser gewobenen Plane zu schaffen zu machen, die das Konstrukt umhüllte. Mit dem scharfen Haken seines Gaffs hatte er diese aufgeschlitzt und ein größeres dreieckiges Stück herausgelöst.
»Helfen Sie mir. Ziehen Sie.«
Sie packten den Zipfel der Plane und zogen mit vereinter Kraft daran. Erst gaben die Fasern nicht nach, dann verloren die beiden Männer plötzlich das Gleichgewicht und plumpsten rücklings in den Sand. Eine Fläche von der Größe eines Computerbildschirms lag nun frei. Darunter konnte man Metallstreben erkennen, die gleichschenklige, aneinanderliegende Dreiecke bildeten. Die Löcher in dem Triangelgitter waren in etwa so groß wie ein Kalbskopf, das Gerüst war außerdem unter der Plane von einem leichteren, feinmaschigen Plastiknetz überzogen. Kieffer zerriss das Nylongewebe, entnahm seinem Rucksack die Taschenlampe und leuchtete in das Loch hinein. Es handelte sich tatsächlich um eine geodätische Kuppel. Sie bestand aus zwei Halbkugeln, die man in der Mitte mit einem breiten, umlaufenden Stahlband zusammengenietet hatte. Der Schein seiner Lampe reichte nicht aus, um die tiefschwarze Kuppel auszuleuchten, doch sie schien völlig leer zu sein, abgesehen von einer etwa zwei Meter durchmessenden metallenen Säule, die von oben ein ganzes Stück in die Kugel hineinragte.
»Was zum Teufel ist das?«, murmelte Kieffer.
»Ein Aquapod«, entgegnete Gallo.
»Ein was?«
»Eine kugelförmige Fischreuse. Man benutzt so etwas für Aquakulturen.«
»Ich dachte, für Thun benutzt man oben offene, zylindrische Reusen, die an der Oberfläche schwimmen.«
»Stimmt. Diese verwendet man für andere Fische. Aber …«, der Raís schaute durch das Loch in der Plane. »Normalerweise sind sie kleiner. Zehn Meter, vielleicht.«
»Und wie funktionieren diese Dinger? Haben Sie eine Idee?«
Der Raís zuckte mit den Schultern. »Wahrscheinlich wie die kleinen. Unten ist eine Kette am Meeresboden festgemacht. Oben ein Schwimmer, damit die Kugel im Meer schwebt.«
»Im Meer? Das heißt, sie befindet sich unter der Wasserlinie?«
»Weit darunter, vermutlich mindestens zehn Meter, eher 15. Sodass sie keinen Schaden nimmt, wenn ein Schiff drüberfährt.«
Kieffer hockte sich auf den Strand und zündete sich eine Zigarette an. Der Raís setzte sich neben ihn. Sie blickten aufs Meer. Dann sagte der Koch: »Diese Kugeln, wenn darin Thunfische gezüchtet werden, dann …«
»… irgendwo da draußen.«
»Aber wo? Haben wir eine Möglichkeit, sie zu finden?«
Der Raís schnaubte. »Haben Sie ein U-Boot? Selbst damit dürfte es schwierig werden.« Kieffer schaute denHang hinauf, wo die riesige graue Halle in den rosafarbenen Morgenhimmel ragte. Anschließend blickte er zum Raís hinüber. Ohne ein weiteres Wort standen sie auf und begannen, auf die Schotterstraße zuzugehen, die sich den Berg emporschlängelte.
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30
Vor der Halle sahen sich die beiden Männer einem mehrere Meter hohen Rolltor und zwei Türen gegenüber. Noch immer war ihnen niemand begegnet. Alle Eingänge erwiesen sich als verschlossen. Der Raís wollte sich mit seinem Gaff an einer der Türen zu schaffen machen, doch Kieffer hielt ihn davon ab. »Tun Sie es nicht. Vielleicht gibt es eine Alarmanlage.«
Mit unwirscher Miene ließ der Sizilianer sein Werkzeug sinken. »Und? Bis die hier sind, sind wir längst weg.«
Kieffer glaubte jedoch nicht, dass die Insel verlassen war. Die Hallen waren riesig, so groß wie eine ganze Reihenhaussiedlung. Bisher hatten sie zwar niemanden zu Gesicht bekommen, aber was bedeutete das schon? »Wer immer das hier gebaut hat, hat eine Menge Geld investiert. So etwas lässt man nicht unbewacht, selbst wenn es auf einer abgeschiedenen Insel liegt«, sagte er. »Denken Sie an die Kugel, Antoniu. Würden Sie die länger ungeschützt auf dem Strand liegen lassen?«
»Vermutlich nicht.«
»Bestimmt holt die bald jemand ab. Also lassen Sie unsvorsichtig sein. Möglicherweise hilft uns die hier weiter.« Kieffer zeigte auf eine Feuerleiter, die rechts von ihnen an der Hallenwand festgenietet war. Sie führte bis aufs Dach. »Vielleicht können wir darüber in den Innenhof gelangen.«
Als er auf die
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