Rotes Gold: Ein kulinarischer Krimi. Xavier Kieffers zweiter Fall
wir nicht noch zahlen? Ich lade Sie ein.«
Der Raís schüttelte den Kopf. »Nein.«
»Weil Sie der Raís sind? Aus Respekt vor Ihrem Amt?«
»Nein. Die Menschen wissen, dass ich etwas von Fisch verstehe. Ob in der Trattoria oder auf dem großen Fischmarkt in Trapani – wenn ich es kaufe, ist es gut. Die Menschen schauen darauf.«
»Sie als Kunde zu haben, ist also Bezahlung genug, weil dann auch die anderen kommen?«
»Ja.«
Kieffer verabschiedete sich von Gallo und ging zurück zu seinem Hotel. Erst jetzt merkte er, wie müde der Tag auf dem Meer ihn gemacht hatte. Bis eben hatte er sich hellwach gefühlt, der Espresso hatte ihm noch einen Energieschub verpasst. Doch nun sehnte er sich nach Schlaf. Er kämpfte sich den Berg hoch bis zur Piazza und stieg die steinernen Stufen zu seinem Zimmer hinauf. Dann stellte er den Wecker. Viel mehr als drei Stunden Ruhe würde er nicht bekommen. Von der Piazza waberte das Geplauder der Einheimischen und die Musik aus der Jukebox hinauf. Trotzdem war er bereits nach wenigen Sekunden eingeschlafen.
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29
Ein fahler Mond beschien die weißen Boote, die im Jachthafen von Favignana gemächlich im Wasser dümpelten. Als Kieffer ankam, saß der Raís bereits vor der Hafenmeisterei und zermalmte Zuckerwürfel. Gemeinsam gingen sie zu einem Maschendrahttor, das auf einen der Stege führte. Gallo schloss auf und winkte ihn hindurch. Das Boot des Raís befand sich am Ende des Anlegers, eine kleinere Motorjacht, kaum zehn Meter lang. Irgendwann war das Schiff sicher einmal strahlend weiß gewesen. Nun hatte es die Farbe ausgeblichener Knochen. Auf dem Bug stand in blauer Schwungschrift »San Isidoro«. Sie gingen an Bord, und schon nach wenigen Minuten war Favignana nur noch eine kleiner werdende Ansammlung von Lichtpunkten, die in der Ferne glommen. Kieffer setzte sich auf die Bank am Heck und zündete sich eine Ducal an. Er schaute zu, wie der Rauch vom Fahrtwind davongeweht wurde.
Der Koch hatte erwartet, auf ihrer Nachtfahrt durch das Tyrrhenische Meer stundenlang durch tiefschwarze Finsternis zu fahren. Er hatte sich getäuscht: Zwar wurde die Korona der italienischen Küste von Minute zu Minuteschwächer. Doch es war wolkenlos, und der beinahe volle Mond ließ das ganze Meer in silbrigem Glanz erstrahlen. Obwohl das Hinterdeck nicht beleuchtet war, konnte Kieffer mühelos die Ausrüstung in seinem Rucksack überprüfen. Neben Taschenlampe, Regenzeug und Proviant hatte er noch eine Digitalkamera eingepackt. Er schnürte den Rucksack wieder zu und ging zu Gallo, der vorne am Steuer stand. Daneben war ein kleiner Flachbildschirm angebracht, auf dem eine rote Linie zu sehen war, die von Favignana nach Nordwesten führte.
»Wie lange werden wir brauchen?«
»Das Meer ist sehr ruhig. Höchstens zwei Stunden.«
»Wann wird es hell?«
»Die Dämmerung beginnt um fünf.«
Kieffer versuchte, etwas auf dem Hinterdeck zu dösen, konnte aber nicht einschlafen. Und so lag er auf einem der rissigen Schaumstoffpolster und schaute in den Sternenhimmel. Irgendwann bemerkte er, dass die funkelnden Punkte über ihm blasser wurden. Er setzte sich auf. Steuerbords sah er, dass der Himmel sich rötlich verfärbte. Er ging aufs Vorderdeck und suchte den Horizont nach der Insel ab. Zunächst sah er nichts, doch nach einigen Minuten tauchte sie plötzlich im Meer auf, die einzige Erhebung weit und breit. Sie war klein, viel kleiner als Favignana. Vermutlich hätte er die Isoletta erst deutlich später gesehen, wenn, ja wenn da nicht jene rechteckigen grauen Gebäude gewesen wären, die vom felsigen Untergrund aufragten. Aus der Entfernung sah es fast so aus, als schwömmen sie auf dem Meer. Als sie näher kamen, konnte Kieffer jedoch erkennen, dass die eigentliche Insel relativ hoch aus dem Meer aufragte. Sie besaß ein leicht schief stehendes Plateau, das vonder ihnen zugewandten Seite her nach hinten abfiel. Die Gebäude befanden sich deshalb gut sechs oder sieben Meter oberhalb der Wasserlinie, gut geschützt vor den anbrandenden Wellen.
Der Raís drosselte den Dieselmotor, sodass sie nur noch dahindümpelten. Kieffer fiel auf, dass sein Kapitän offenbar bereits vor einiger Zeit sämtliche Positionsleuchten gelöscht hatte. Gallo entnahm einer Kiste einen Feldstecher und suchte damit die Insel ab. Dann reichte er ihn schweigend an Kieffer weiter. Außer den Hallen und der Steilküste konnte man nichts Besonderes erkennen. Der Koch sah weder Menschen noch Boote.
»Sollen wir sie
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