Rotkäppchens Rache
länger gezogen als bei jedem sterblichen Hund. »Die Wilde Jagd?«
»Sie reiten jetzt schon eine ganze Weile«, sagte Talia. »Bis jetzt scheint Roudettes Umhang seinen Dienst zu verrichten.«
»Und Faziya?«, fragte Danielle.
»Sie ist zweimal aufgewacht; beim zweiten Mal hat sie noch etwas mehr Wasser getrunken. Ich glaube nicht, dass sie versteht, wo sie ist oder was passiert ist.«
»Sollten wir Schnee wecken?«
»Das habe ich schon. Vier Mal.« Talia klang leicht verlegen. »Schnee sagt, das Beste für Faziya ist Ruhe. Wir haben den Verband überprüft, und es ist nicht viel Blut darin, was ein gutes Zeichen ist.«
»Da bin ich froh.« Danielle lag eine Weile still da, unsicher, ob sie die nächste Frage stellen sollte. Aber die anderen schliefen, und es hatte die letzten Tage so wenig Gelegenheit gegeben, mit Talia unter vier Augen zu sprechen. »Was ist mit Schnee?«
»Was soll mit ihr sein?« Die vorsichtige Formulierung von Talias Antwort ließ darauf schließen, dass sie ganz genau wusste, was Danielle meinte.
»Ich weiß, was du für sie empfindest.«
»Was ich auch empfinden mag, Schnee empfindet es jedenfalls nicht«, erwiderte Talia schroff. »Es ist unwahrscheinlich, dass ihre … Vorlieben sich ändern werden.«
»Talia -«
»Lass es!« Talia seufzte. »Du denkst, weil ich Schnee liebe, bin ich unfähig, jemand anders zu lieben?«
Danielle wurde warm im Gesicht. »Das ist es ganz und gar nicht! Es tut mir leid, ich meinte -«
»Du bist in einer Dachkammer eingesperrt aufgewachsen und dann hast du einen Prinzen geheiratet. Es ist nicht deine Schuld, dass du eine einfachere Sicht dieser Dinge hast.«
Langsam begann Danielle zu lächeln. »Dann liebst du Faziya also doch!«
»Ich hätte sie zu mir nach Lorindar geholt, wenn ich gekonnt hätte, aber sie wäre dort nicht glücklich gewesen. Sie ist ein Kind des Sandes, weit mehr, als ich es je war. Das hier ist ihr Zuhause.« Talia verstummte.
Danielle runzelte die Stirn. Das Heulen aus der Wüste hatte aufgehört. »Die Jagd ist weg.«
»Der Morgen wird bald grauen. Faziya braucht Ruhe, aber Schnee sagt, sie braucht auch etwas zu essen. Wasser ist gut für sie, aber das reicht nicht. Frisches Fleisch ist am besten, um ihr zu helfen, das verlorene Blut wieder aufzufüllen.«
Es dauerte einen Moment, bis ihr klar wurde, was Talia von ihr verlangte. Danielle schluckte ihre instinktive Ablehnung hinunter.
»Schnee ist nicht zu gebrauchen, wenn es ums Jagen geht«, fuhr Talia fort. »Roudette kann nicht allein raus, dank Schnees Zauber. Ich würde ja selbst gehen, aber ich will Faziya nicht -«
»Ich weiß.« Danielle konnte die Entschlossenheit in Talias Stimme hören. Sie bezweifelte, dass selbst die Wilde Jagd sie im Augenblick von Faziyas Seite hätte wegreißen können. »Ich bin froh, dass du sie wiedergefunden hast. Ich werde tun, was ich kann.«
Sie kroch auf den Höhleneingang zu, wobei sie den Kopf geflissentlich unten hielt, und zog die Decke zur Seite, die sie mit ein paar Steinen beschwert hatten, damit sie nicht verrutschte. »Faziya wird wieder gesund werden, Talia.«
»Sie ist noch nicht außer Gefahr«, entgegnete Talia. »Der Blutverlust könnte sie umbringen. Die Wunde könnte sich infizieren. Hier können wir nicht bleiben, aber sie ist nicht kräftig genug, um zu reisen.«
»Ich sagte, sie wird wieder gesund.«
»Jawohl, Euer Hoheit.« Sie konnte Talias schiefes Lächeln förmlich hören.
Danielle krabbelte aus der Höhle. Die kalte Morgenluft ließ sie frösteln; sorgfältig zog sie die Decke wieder über den Höhleneingang, um die Zugluft auszusperren. Als sie sich umdrehte, unterdrückte sie einen Aufschrei: Keine zehn Schritt von ihr entfernt saß ein Wolf auf den Felsen und beobachtete sie.
»Du bist die ganze Nacht da gewesen?«, fragte Danielle. Jetzt, wo sie darüber nachdachte, fiel ihr wieder ein, dass Roudette davon gesprochen hatte, ein paar Freunde aufgegabelt zu haben, als sie und Talia gestern draußen gewesen waren. »Ich nehme nicht an, dass du Lust hast, etwas zu Essen zu besorgen?«
Der Wolf schnupperte und wandte sich ab.
Danielle seufzte. Am einfachsten wäre es, zu rufen, die Tiere einfach zu bitten, zu ihr zu kommen. Sie würden gehorchen und ihr bis zu dem Moment vertrauen, wo sie sie tötete. Aber sie brachte es nicht über sich, dieses Vertrauen zu missbrauchen.
Sie suchte den Himmel ab. Im Osten säumte ein orangefarbener Streifen den Horizont. Nicht eine einzige Wolke versperrte die
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