Rotlichtkrieg: Auf Leben und Tod gegen die Hells Angels (German Edition)
habe.
Das Hotel am Hauptbahnhof von Den Haag hat vier Sterne und Ledersessel in der Lobby. In einem der Sessel sitzt Türken-Musa. Er steht schwerfällig auf, als wir auf ihn zugehen. Er ist athletisch, aber er hat einen Bauch. Ihm fehlt die Bauchdecke, nur ein Druckverband hält seine Gedärme zusammen. Als wir später zur Bar gehen, muss er sich stützen. Aber seine eng stehenden Augen können einem Angst machen. Er hat einen aggressiven, fast psychopathischen Blick.
»Du bist Gianni?«, fragt Musa.
»Ich bin Gianni.«
Wir reden mehrere Stunden. Wir merken, was uns verbindet. Ihm haben sie etwas weggenommen. Mir wollen sie etwas wegnehmen. Er will Rache. Ich will Rache. Und zwar an denselben Leuten.
Am Ende des Gesprächs schüttelt er mir die Hand.
Prozess gegen Knochenbrecher-Marcel vor dem Hamburger Landgericht. Der Zuschauerraum ist voller Leute aus dem Milieu. Überall Tattoos, Muskeln, Kutten. Als die Polizei den Untersuchungshäftling Marcel M. in den Gerichtssaal führt, grüßt er fröhlich seine Kumpels. Es herrscht eine gelöste Stimmung, als hätte das Rotlichtmilieu einen gemeinsamen Betriebsausflug ins Justizgebäude unternommen. Ein paar der Höllenengel im Raum schauen aber auch finster. Doch Marcels Aussage dürfte sie zufriedenstellen. Denn er sagt aus, dass er aus eigenem Antrieb in den Saunaclub gekommen sei. Ich hätte im Milieu behauptet, er habe Geld unterschlagen, und das wollte er klären. Er sei nur ins »Tropicana« gekommen, um sich auszusprechen.
»Warum haben Sie eine Waffe mitgenommen?«, will die Richterin wissen.
»Ich musste mich doch schützen.«
Die Waffe gehöre auch gar nicht ihm, er habe sie nur ausgeliehen. Leider, so behauptet er, hätte ich dann überreagiert und wäre auf ihn zugestürmt, als er in mein Büro gekommen ist. Da sei er in Panik geraten und deswegen hätte er Warnschüsse abgegeben.
»Ein Warnschuss durch die geschlossene Tür?«, fragt die Richterin.
»Ich wollte nicht in die Decke schießen. Ich weiß ja nicht, wer da oben wohnt«, antwortet Marcel.
»Aber Herr Sander hat dann ja ziemlich stark am Kopf geblutet.«
»Vielleicht ist er gestürzt? Da ist so ein Regal in dem Büro, vielleicht hat er sich daran gestoßen.«
Die Sache tut Marcel angeblich leid, auch dass der Schuss durch die Tür meine Freundin am Bein verletzt hat. Er hat ihr deswegen schon freiwillig 1000 Euro Schmerzensgeld gezahlt.
»Eines will ich wirklich klarstellen: Niemand sollte verletzt werden«, sagt Marcel.
Im Publikum wird gefeixt. Für jemanden, der sich den Spitznamen »Knochenbrecher« verdient hat, ist das doch ein ziemlich harmloses Statement.
Mein Auftritt als Zeuge ist dann kurz.
»Was sind Sie von Beruf?«, fragt mich die Richterin.
»Selbstständig«, antworte ich.
»In welcher Branche?«
»Gastronomie.«
Zur Sache sage ich nichts. Mit der Begründung, mich mit meiner Aussage möglicherweise selbst zu belasten. Das ist das Schlupfloch, das uns die Strafprozessordnung lässt. Ein Zeuge darf die Aussage verweigern, wenn er befürchtet, aufgrund seiner Aussage selbst dran zu sein. Ohne dieses Schlupfloch wären die Gefängnisse voller Zuhälter in Beugehaft, verlangt der Milieu-Ehrenkodex doch, nicht vor Gericht auszusagen.
»Imposante Erscheinung«, sagt die Richterin noch, als ich den Raum verlasse.
Sie scheint nicht sauer zu sein. Denn das, was Marcel zugegeben hat, reicht, um ihn für einige Zeit in den Knast zu bringen.
Bei der Urteilsbegründung betont sie, dass es dem Angeklagten nicht zu widerlegen sei, dass er nur in den Club gekommen sei, um etwas zu klären. Auftraggeber für den Überfall, die auch die Polizei vermutet hatte, lassen sich also nicht nachweisen.
Trotzdem bekommt Marcel 33 Monate Knast, wegen gefährlicher Körperverletzung und unerlaubtem Führen einer Schusswaffe. Ein hohes Strafmaß wegen seiner Vorstrafen. Sein Register sei, so schreibt die Hamburger Morgenpost , »dicker als das Berliner Telefonbuch«.
In der Höhle des Löwen
»Die Höllenengel als Friedensstifter beim schwelenden Krieg im Hamburger Rotlichtmilieu? (…) Die Hells Angels, mit einem feinen Sinn für drohenden Zoff im Milieu ausgestattet, ahnten Böses, als ›Türken-Musa‹ (…) nach Hamburg reiste. Nachdem Musa den Albanern öffentlich den Krieg erklärt hatte, luden sie die verfeindeten Seiten auf neutrales Gebiet in ein Bordell bei Bremen ein. ›Gastgeber‹ war Frank Hanebuth, Chef des Höllenengel-Chapters von Hannover.«
Hamburger Morgenpost
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