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Rotzig & Rotzig

Rotzig & Rotzig

Titel: Rotzig & Rotzig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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Blinddarmentzündung im Krankenhaus. Und mir - mal ganz unter uns - tut ein bisschen Bewegung ganz gut.“
    „Eigentlich ...“ Ich blickte vielsagend auf die Pappschachtel unter meinem Arm.
    Reiff zog ein skeptisches Gesicht. „Das wird nicht ganz einfach“, meinte er und begann zu schaufeln. „Na kommen Sie“, sagte ich. „Ich will doch nur ein paar Minuten mit den beiden sprechen.“
    „Genau das ist das Problem. Ich kann Sie nur auf Ihr Wort hin nicht zu den Kindern lassen. Es geht nicht. Von der Idee her sind wir eine Pflegefamilie, von der Security her Fort Knox. Sie können sich nicht vorstellen, was wir hier schon alles erlebt haben. Eltern, die ihre Kinder zurückhaben wollen, notfalls mit Gewalt - das ist zumindest nachvollziehbar, auch wenn die Behörden Gründe gesehen haben, sie ihnen wegzunehmen. Aber Kinderschänder, die wieder an ihre Opfer heranwollen? Oder - einer der krassesten Fälle - ein ehemaliger Kommandant von Kindersoldaten, der versucht hat, einen Jungen, einen seiner ehemaligen Rekruten, hier aus unserer Obhut zu entführen, weil er ihn bei Raubüberfällen einsetzen wollte? Als Killer, damit keine Zeugen zurückbleiben? Herr Kryszinski, Sie machen sich kein Bild davon, was für eine Skrupellosigkeit manche Leute an den Tag legen.“
    Der Schnee war feucht, klumpig, schwer, doch von Reiffs Schaufel flog er in weiten, wütenden Bögen. „Haben Sie die Gitter an den Erdgeschossfenstern bemerkt? An sämtlichen Erdgeschossfenstern? Das ist, zusammen mit dem Zaun, nur der sichtbare Teil der Bewehrung dieses Grundstücks. Die Umstände und die behördlichen Auflagen haben uns gezwungen, ein Vermögen in Alarmanlagen und sonstige Gebäude- und Grundstückssicherungen zu investieren, vom stringenten häuslichen Stundenplan mal ganz zu schweigen. Eigentlich, so war es mal der Plan gewesen, sollten die Kinder in unserer Obhut alle Freiheiten genießen können, doch die Komplexität der Alarmsysteme und die tatsächliche Gefahrenlage zwingen uns nach Einbruch der Dunkelheit alle ins Haus.“ Er seufzte, schippte Schnee und seufzte nochmals. „Dies sind verkommene Zeiten, Herr Kryszinski.“
    Das Pony schloss sich uns wieder an, sehr zum Missvergnügen meines Hundes.
    Wir umrundeten ein stacheliges, immergrünes Gebüsch, und nach einem prüfenden Blick zurück Richtung Haus zog Herr Reiff eine flache Halbliterflasche Cognac aus der Innentasche des Mantels und schraubte sie auf. Irgendetwas daran überraschte mich, und man sah es mir wohl an.
    „Jetzt schauen Sie mal nicht so vorwurfsvoll, Herr Kryszinski! Sich tagaus, tagein mit den Sprösslingen anderer Leute herumzuärgern, braucht einfach seine Kompensation.“ Er lachte glucksend und hielt mir die Flasche hin. Nachdem die Pulle zwei-, dreimal hin- und hergewandert war, schnorrte er eine von meinen Zigaretten. Inhalierte dankbar.
    „Gottverdammte Vorbildfunktion, die man hier rund um die Uhr auszufüllen hat. Bei aller Liebe, aber es fällt nicht immer leicht. Doch ich jammere Ihnen hier was vor und halte Sie damit von der Arbeit ab.“ Er fasste sich ans Kinn, runzelte die Brauen. „Ich sage Ihnen was: Warum rufen Sie mich nicht - was haben wir heute? Mittwoch, richtig? - übermorgen noch mal an. Ich halte inzwischen Rücksprache mit dem Jugendamt in ... Mülheim, war es das?“
    Ich nickte. Er drückte mir noch mal den Cognac in die Hand, und wir nahmen beide noch je einen verstohlenen Schluck.
    „Mülheim also. Ich schildere denen den Fall, und sollten die entscheiden, dass Sie integer sind und es zum Besten der Kinder ist, können Sie wiederkommen und mit den beiden reden. Was halten Sie davon?“ Großartige Idee, fand ich und fand mich - Zufall - gleichzeitig am Tor, und dann war ich draußen, und Herr Reiff und ich machten winke, winke und gingen unserer Wege. Erst am Auto merkte ich, dass ich das Päckchen mit den Kuscheltieren nach wie vor unterm Arm trug.
    Wie das manchmal so ist, sehnte sich der Cognac nach Gesellschaft. Tanken musste ich auch, da traf es sich doch ganz fantastisch, dass der kleinen Tankstelle an der Straße nach Diekirch auch noch eine kleine Cafebar angegliedert war. Leer, doch das hat mich noch nie abgeschreckt, und eh ich mich's versah, saß ich am Tresen, war mit Leyla, der Bedienung - ein junges Ding aus der Punk- oder Gothikszene, auf jeden Fall mit pechschwarzem, wie mit dem Daumen aufgetragenem Make-up unter einer widerborstig stacheligen Frisur - per Du, und kaum ein Fingerschnippen später war es

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