Rousseau's Bekenntnisse
allein den Abbé Raynal aus, der, obgleich sein Freund, sich auch als einen der meinigen bewies und mir mit ungewöhnlicher Großmuth gelegentlich seine Börse anbot. Aber ich kannte den Abbé Raynal lange, ehe Grimm selbst ihn kannte, und ich war ihm, seitdem er sich mir gegenüber in einer sehr unbedeutenden Angelegenheit, die ich aber nie vergaß, auf das zarteste und ehrenwertheste benommen hatte, stets sehr zugethan gewesen.
Dieser Abbé Raynal ist sicherlich ein warmer Freund. Er gab dem nämlichen Grimm, mit dem er einen sehr vertrauten Umgang unterhielt, ungefähr in derselben Zeit, von der ich rede, einen Beweis davon. Nachdem Grimm einige Zeit mit Fräulein Fel freundschaftlich verkehrt hatte, kam es ihm plötzlich in den Sinn, sich sterblich in sie zu verlieben und Cahusac ausstechen zu wollen. Da sich die Schöne auf ihre Beständigkeit etwas einbildete, wies sie den neuen Bewerber entschieden zurück. Dieser nahm es sich sehr zu Herzen und that, als ob er daran sterben müßte. Er fiel ganz plötzlich in die sonderbarste Krankheit, von der man vielleicht je hat reden hören. Er brachte die Tage und Nächte in beständiger Lethargie, mit völlig offenen Augen und regelmäßigem Pulsschlage zu, aber ohne zu sprechen, ohne zu essen, ohne sich zu rühren, scheinbar bisweilen hörend, aber niemals antwortend, nicht einmal durch Zeichen, und im Uebrigen ohne Unruhe, ohne Schmerz, ohne Fieber und daliegend, als wäre er bereits gestorben. Der Abbé Raynal und ich wachten abwechselnd bei ihm. Da der Abbé kräftiger und gesunder als ich war, brachte er bei ihm die Nächte, ich die Tage zu, so daß er nie allein war; keiner von uns ging vor Ankunft des andern. Sehr erschreckt brachte der Graf von Friesen Senac zu ihm, der nach sorgfältiger Untersuchung versicherte, es hätte nichts zu bedeuten, und nichts verordnete. In der Sorge um meinen Freund beobachtete ich die Miene des Arztes genau und bemerkte, wie er beim Herausgehen lächelte. Der Kranke blieb jedoch mehrere Tage unbeweglich, ohne Bouillon oder irgend etwas Anderes als eingemachte Kirschen zu sich zu nehmen, die ich ihm von Zeit zu Zeit auf die Zunge legte, und die er sehr gut verschluckte. Eines schönen Morgens erhob er sich, zog sich an und nahm seine gewöhnliche Lebensweise wieder auf, ohne daß er über diese eigentümliche Lethargie oder unsere Pflege während ihrer ganzen Dauer mit mir, noch auch, so viel ich weiß, mit dem Abbé Raynal oder irgend einem anderen geredet hätte.
Dieser Vorfall unterließ nicht Aufsehen zu erregen, und in der That wäre es ein wunderbares Ereignis gewesen, wenn die Grausamkeit einer Opernsängerin einen Mann hätte aus Verzweiflung sterben lassen. Diese schöne Leidenschaft brachte Grimm in die Mode; bald galt er als ein Wunder von Liebe, Freundschaft und Anhänglichkeit jeglicher Art. In dieser Meinung suchte und feierte man ihn in der großen Welt und entfernte ihn dadurch von mir, der ich ihm doch nur ein Nothbehelf gewesen war. Ich sah ihn im Begriffe, mir gänzlich verloren zu gehen. Ich war darüber tief betrübt, denn alle die lebhaften Empfindungen, mit denen er sich brüstete, hegte ich für ihn, wenn ich auch weniger Aufhebens davon machte. Sein Emporkommen in der Welt machte mir Freude; aber ich hätte gewünscht, daß er seinen Freund darüber nicht vergäße. Eines Tages sagte ich zu ihm: »Grimm, Sie vernachlässigen mich; ich verzeihe es Ihnen. Wenn die erste Begeisterung der rauschenden Erfolge ihre Wirkung gehabt haben wird und Sie erst zur Einsicht kommen, wie schal sie sind, werden Sie, das hoffe ich bestimmt, zu mir zurückkehren und in mir stets den alten Freund wiederfinden. Legen Sie sich jetzt keinen Zwang auf; ich lasse Sie frei und warte auf Sie.« Er sagte zu mir, ich hätte Recht, handelte demgemäß und kümmerte sich so wenig um mich, daß ich ihn nur noch bei unsren gemeinschaftlichen Freunden sah.
Ehe er mit Frau von Epinay ein so vertrautes Verhältnis angeknüpft hatte, wie es später geschah, war das Haus des Baron von Holbach unser Hauptvereinigungspunkt. Genannter Baron war der Sohn eines Emporkömmlings und im Genusse eines ziemlich großen Vermögens, das er in edler Weise verwandte, indem er Gelehrte und verdienstvolle Leute bei sich empfing, unter denen er durch sein Wissen und seine Kenntnisse eine ebenbürtige Stelle einnahm. Seit langer Zeit mit Diderot verkehrend, hatte er mich, noch ehe mein Name bekannt geworden war, durch dessen Vermittlung aufgesucht. Ein
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