Roxelane
Gritti weiß es auch schon .. .“, sagte Roxelane vor sich hin. Bis an den Rand war sie mit Bitterkeit erfüllt. Sie kannte diesen Aloysio Gritti.
Er war der Sohn des berühmten Dogen von Venedig aus dessen Gesandtenzeit in Konstantinopel. Seine Mutter freilich war eine Sklavin gewesen, und so hatte er in Italien nichts ausrichten können. Dafür aber war er in dem vorurteilsfreien Konstantinopel, wo ihm der Einfluß seines Vaters die Wege geebnet hatte, tüchtig vorangekommen.
Auch von Roxelane, die man schon lange für die reichste Frau der Türkei hielt, war er mehrere Male zu geschäftlichen Besprechungen empfangen worden. Er hatte zwar nicht zu den zahlreichen Beamten ihrer Daira, ihrer Vermögensverwaltung, gehört, doch sie besaß unter anderen Werten auch große Alaungruben in Kleinasien, um deren Absatz sie besorgt gewesen war. Der junge Mann hatte ihr nun über Venedig und London die Wege in die Christenheit eröffnet, wo der Papst seinem teueren und schlechteren Alaun aus Tolka mit geistlichen Verordnungen das Monopol zu sichern versucht hatte. Mit Grittis Hilfe war es Roxelane gelungen, das Monopol zu brechen, und heute bereitete sie Seiner Heiligkeit in dessen eigenem Machtbereich eine vernichtende Konkurrenz.
Diese geglückte Spekulation war Grittis erster Erfolg gewesen. Roxelane hatte ihn Soliman empfohlen, und mit dessen Gunst hatte Gritti Ibrahims Freundschaft gewonnen.
Jetzt war der Sohn des Dogen in Wahrheit der Leiter des türkischen Auswärtigen Amtes, war König Johanns Generalstatthalter für ganz Ungarn und hatte noch vor kurzem Buda mit einer kleinen türkischen Truppe von nur dreitausend Mann siegreich gegen den österreichischen Gewaltsturm gehalten.
Es war nicht daran zu zweifeln, daß alles stimmte, was Gritti im Trunk ausgeplaudert hatte, und es schmerzte Roxelane tief, diesen erfolgreichen jungen Abenteurer in ein Geheimnis eingeweiht zu sehen, das Soliman vor ihr verbarg.
Dennoch liebte sie Soliman immer noch.
Ihn konnte sie auch verstehen.
Seit der kleine Mustafa plötzlich in ihrem Zimmer gestanden und seine Mutter ihr des Jungen wegen das Gesicht zerkratzt hatte, war alles unverändert geblieben, nur daß sich kindliche Anhänglichkeit in die leidenschaftliche Verehrung des heranwachsenden Knaben Mustafa verwandelt hatte. Wie oft hatte er sie besucht, wie oft mit ihren Kindern gespielt, und selbst zu Besuchen am Meer hatte sie ihn ermuntert, wo sie doch sonst keinen empfing, der nicht zu ihrem engsten Kreis gehörte. Nein! Selbst Roxelane konnte den Prinzen nicht so hassen, wie sie wollte.
Und Soliman war sein Vater.
Ibrahim aber war . . . Esmas Mann.
Doch was ging Esma eine Mutter noch an, die um das Leben ihrer Kinder bangte!
Roxelane war aufgescheucht worden. Ihre zitternde Hand, die nicht wußte, was sie tat, streichelte Nino. Das Glück einer Sicherheit war dahin, die sich als ein jahrelanger wunderschöner - Traum erwiesen hatte. Nichts als ein Traum!
„Oh, Nino“, sagte Roxelane, „weißt du, was das alles bedeutet? -Daß ich kämpfen muß, bedeutet es. Und weißt du, was Kampf ist? Kampf heißt entfesseln, das Gute, aber weit mehr noch das Böse. Mit deiner Treue begann es. Kannst du mir sagen, was noch kommt...?“ Eine Pause entstand, während der sich beide Frauen umschlungen hielten. Dann löste sich Roxelane und stand auf.
„Ich muß Bolil sprechen“, sagte sie.
Der ehemalige Tschokadar war inzwischen zur höchsten Würde des Serails, zum Kapu Aga, aufgestiegen und genoß Roxelanes Vertrauen.
„Nicht jetzt! Nicht gleich!“ bat aber Nino. Ihre Hoheit dürfe nicht vorzeitig das Fest verlassen.
„Ich verstehe“, beruhigte Roxelane sie, „und man wird auch nicht wissen, daß wir uns gesprochen haben. Das bin ich dir schuldig, dir und deinem Mann, dem du danken sollst.“
Wenig später sah man die Herrin im Schwimmbad, das Esma nur für sie hatte erbauen lassen, und der helle Raum hallte wider von ihrem Lachen. Wie glückerfüllt hörte das Lachen sich an.
23
Dadurch, daß Roxelane alle Vor- und Nachteile Ibrahims bei sich abgewogen hatte, war sie wirklich noch lange nicht hinter seine Beweggründe gekommen.
Menschen wie Solimans Ibrahim waren zu allen Zeiten nur eine kurze Strecke ihres Weges übersehbar.
Dann erhoben sie sich über den Boden - der sie so lange getragen hatte, sie jetzt aber zu langweilen begann -, ohne eine solche Kleinigkeit überhaupt nur zu bemerken wie die, daß ihren Füßen der sichere Grund nunmehr fehle.
Vor zehn
Weitere Kostenlose Bücher