Rubinsteins Versteigerung
aussagen. Es wäre mir sehr peinlich und unangenehm, über dieses grauenvolle Geschehen berichten zu müssen. Ich glaube, unsere Toten haben nach all dem, was ihnen vor ihrer Ermordung angetan wurde, das Recht, in Frieden zu ruhen. Und ich glaube, dass ein Großteil der Aufmerksamkeit, die dieser Prozess schon jetzt erregt, mehr der Gier nach Sensationen entspringt als echterAnteilnahme. Deshalb werde ich, wenn es mir irgendwie möglich ist, einen Auftritt vor Gericht vermeiden.«
»Verzeihen Sie mir, wenn ich Sie das frage. Aber wenn Sie so denken, weshalb kommen Sie dann überhaupt nach Deutschland und sind bereit, unter Umständen doch auszusagen?«
»Wie gesagt, wenn es sich nicht umgehen lässt. Das heißt, wenn Leute verurteilt werden sollen, nur damit die deutsche Justiz ihre angebliche Bereitschaft und Fähigkeit unter Beweis stellen kann, die Verbrechen der Nazis zu verfolgen.«
»Gehören nicht alle diese Gangster hinter Schloss und Riegel oder besser noch erschossen? Die Deutschen haben nicht umsonst die Todesstrafe abgeschafft.«
»Sehen Sie, Herr Rubinstein, was damals passiert ist, war so furchtbar, dass es nicht gesühnt würde, selbst wenn Sie jeden Verantwortlichen hundertmal erschießen würden. Dadurch würde kein Toter wieder lebendig.«
»Wozu also überhaupt ein Prozess?«
»Um zu verhindern, dass sich dieser wahr gewordene Alptraum wiederholt. Indem man vermeidet, dass diese Verbrechen vergessen werden.«
»Verzeihen Sie, Herr Frankfurter, ist Ihre Haltung nicht ein wenig widersprüchlich? Einerseits sagen Sie, dass es Ihnen äußerst peinlich wäre, in dem Prozess aufzutreten, dass Sie einen Sensationsprozess befürchten und dass man die Toten ruhen lassen soll. Andererseits finden Sie den Prozess aus erzieherischen Gründen notwendig, damit sich dasselbe nicht wiederholen kann.«
Frankfurter lächelt. »Sie sind wirklich ein gescheiterMann, Herr Rubinstein – Ihre Mutter kann stolz auf Sie sein. Ja, Sie haben vollkommen recht – ich nehme eine sehr zwiespältige, inkonsequente Haltung zu diesem Prozess ein. Vielleicht ist das nur mit dem Widerspruch zwischen Gefühl und Verstand zu erklären. Alles in mir sträubt sich dagegen, auf großer Bühne über diese Katastrophe zu berichten. Andererseits weiß ich aber, dass dieser Prozess sinnvoll ist, wenn es gelingt, auch nur einige Menschen zum Nachdenken zu bringen. Um Sühne geht es mir dabei aber nicht. Damit ist niemandem geholfen, dadurch wird höchstens neue Bitterkeit geschaffen. Sie wissen es vielleicht nicht, aber selbst unter den SS-Wachmannschaften im KZ gab es mitunter Leute mit menschlichen Regungen, die manchen von uns gerettet haben.«
Seit Frankfurter zu erzählen begann, beschäftigt mich eine Frage zunehmend. Auch wenn Suse verstört sein wird, ich muss mit ihm darüber sprechen. »Herr Frankfurter, hassen Sie eigentlich die Deutschen?« Mein Herz klopft wild.
»Ich glaube, man macht es sich zu leicht, wenn man kollektiv hasst. Vielleicht haben Sie aus meinen Worten bereits herausgehört, dass ich nicht einmal die SS-Leute pauschal hasse – schon gar nicht alle Deutschen. Um ehrlich zu sein, ich bin unfähig zum Hassen. Zum Zorn, zur blinden Wut, ja. Ich habe mit ansehen müssen, wie meine Geschwister zur Vergasung selektiert wurden, ich habe bis auf einen Onkel meine ganze Familie verloren. Wie oft habe ich mir in Auschwitz und dann auf den unendlichen Todesmärschen nur eines gewünscht, nur um eine Sache gebetet: Herr der Welt, lass mich an eine Waffe kommen. Damalshätte ich sie benutzt und bedenkenlos auf unsere Peiniger geschossen. Aber nach der Befreiung war ich wie leer, nicht nur körperlich, sondern auch seelisch total erschöpft. Da war nicht mal mehr Platz für Hass. Und, wie konnte man Leute hassen, die nicht mehr waren als ein Häufchen Elend und Angst, sobald sie ihre Uniformen auszogen. Die im Gegensatz zu uns nicht einmal das gute Gewissen des unschuldigen Opfers hatten, sondern das schlechte des schuldigen Täters. Nein, ich kann keine Menschen hassen.«
Nach kurzem Schweigen wendet er sich Suse zu, lächelt sie an und sagt: »So, aber jetzt haben wir genug vom Vergangenen geredet. Sprechen wir lieber von der Zukunft. Was haben Sie beide vor?«
»Ich glaube, das wissen wir noch nicht so genau.«
»Jonathan soll Betriebswirtschaft studieren.« Esel ist wieder auf dem Posten.
»Nein!«
»Warum nicht?«
»Weil ich keine Lust dazu habe.«
»Haben Sie schon mal dran gedacht, sich mit
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