Ruby und Niall
murmelte er der Kunst-Tunte in seinem schlimmsten heimischen Dialekt zu, dass er nur eine Freundin begleitete und ihr einen Gefallen damit tat, zeigte beinahe anklagend zu Ruby hinüber. Er wollte sich keine Meinung über diese Bilder bilden, selbst wenn er dachte, dass seine eigene Kindheit etwas von diesen Kindern auf dem Wolkenkratzer gehabt hatte. Es war ein abstraktes Bild, und wenn er es auf sein Leben umsetzte, konnte er behaupten, dass einige seiner Freunde, die im Viertel gelebt und mit denen er zur Schule gegangen war, über diesen Rand in den Abgrund gefallen waren.
Vielleicht war es unfair, nur die Kinder zu zeigen, die nicht gestolpert und hinuntergefallen waren.
Das Herrchen hielt ihn für irgendeinen Exoten, verschwand und kam mit zwei Glas Champagner zurück. Sein Köter klemmte hechelnd an seiner Seite und schien es zu genießen, nicht selber laufen zu müssen.
"Sehen sie sich ruhig weiter um", flötete er, "und wenn sie Fragen haben, kommen sie einfach zu mir." Er sprach betont deutlich, drückte Niall das Glas in die Hand, lächelte und tanzte davon.
Niall stellte das Glas auf dem geschmolzenen Plastikstuhl ab. Er konnte seinem Onkel nicht mit einer Fahne gegenübertreten, und blätterte durch den Ausstellungskatalog, die auf dem Weg zu den Toiletten auslagen. Ruby tauchte neben ihm auf.
"Ich wünschte, ich könnte mir so etwas leisten", seufzte sie, "ein einziges Kleid nur. Für prickelnde und besondere Momente."
"Welches Kleid?", fragte Niall und sie zeigte ihm ein grün-schwarzes Kleid, was knapp unter der Decke hing und einfach nur fabelhaft aussah. Es war ein traditionelles Kleid wie für eine Königin.
Und welche Momente
? dachte er. Er konnte sie sich in etwas Elegantem nicht vorstellen, aber möglicherweise war es einen Versuch wert.
"Das würde ich für dich kaufen, wenn ich Geld hätte", sagte Niall.
Sie drückte sich mit einem kleinen Kiesker, der klang, als habe jemand auf den Köter getreten, an ihn und gab ihm einen Kuss auf den Mund.
Die anderen Besucher der Ausstellung fanden sich in kleinen Gruppen zusammen, diskutierten, begutachteten und benahmen sich dabei so furchtbar ernst, dass Niall es auch schon nicht mehr komisch fand, als er sah, dass sich zwei Frauen über sein abgestelltes Champagnerglas unterhielten.
Ich könnte die Krücke in die Ecke stellen
, dachte er,
und sie würden im Katalog nach dem Künstler suchen.
Ruby tänzelte von ihm weg, kam mit einem Glas Champagner zurück und versuchte einen Gesichtsausdruck, wie ihn die anwesenden Damen aufgesetzt hatten. Niall sah sich schnell um, und warf ihr eine blitzschnelle schafsdumme Grimasse zu, worauf sie ihren Champagner durch die Gegend prustete.
"Lass uns gehen", sagte sie, "bevor wir noch rausgeschmissen werden."
"Ich hätte dich gerne mal in diesem Kleid gesehen", sagte Niall, als sie weiter Richtung Innenstadt zogen, worauf Ruby sofort antwortete, dass sie hoffe, er würde ebenfalls in Boston bleiben.
"Kann ich noch nicht sagen", sagte er, "das hängt von den Umständen ab."
"Muss ich dich schlagen, damit du mir endlich davon erzählst?"
Es war unmöglich, das Gespräch auf der Straße zu führen, deshalb entschieden sie sich, den Linienbus in die Innenstadt zu nehmen, bis zu der Ecke, wo Niall abgeholt werden würde. Es stellte sich heraus, dass er sich in Boston gut auskannte, was Ruby sich noch mehr wünschen ließ, dass er in der Stadt bliebe.
In einem Schnellrestaurant setzten sie sich an einen Zweiertisch am Fenster, damit Niall die Straße im Blick hatte.
"Ich kann dir verraten, weshalb ich beim Wanderzirkus war", sagte er. Sie hatten sich Soda und Chillie bestellt, das billigste von der Karte, weil sie nicht hungrig waren. Aber sie aßen nichts davon, hielten ihre Hände auf dem Tisch fingerverschränkt und vergaßen das laute Schnellrestaurantpublikum um sich herum.
"Ich bin untergetaucht im Zirkus. Dort hat niemand nach meinem Namen gefragt oder wo ich herkomme. Dass ich dort weg bin, liegt nur am Bein, sonst wäre ich weiter mit denen durch die Gegend gezogen, um möglichst weit weg von Boston zu sein."
"Das klingt, als würdest du in der Scheiße sitzen."
Niall machte ein Geräusch, das an einen Marathonläufer kurz vor der Ziellinie erinnerte. Er war körperlich und seelisch erledigt, merkte es jetzt erst, wie sehr ihn alles mitgenommen hatte.
"Ich hab ein paar Fehler gemacht, aber ich wusste, worauf ich mich einlasse. Wenn du etwas machst, was gegen die Prinzipien der Familie ist, musst du
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