Rueckkehr ins Leben
sich Fußballtrikots an und Esther kaufte ihm eins. Leslie kaufte mir eine Bob-Marley-Kassette. Es war das Album Exodus. Ich war mit Reggaemusik aufgewachsen, aber 187
ich hatte lange keine mehr gehört. Als ich mir die Kassette ansah und versuchte, mich an die Songs zu erinnern, fing
mein Kopf an wehzutun. Esther muss gemerkt haben, was
mit mir passierte, denn sie nahm mir die Kassette ab und legte sie in ihre Tasche. »Wer will Coca-Cola?«, fragte sie. Ich war aufgeregt und rannte schon vor zum Coca-Cola-Stand. Sie
kaufte für jeden eine Flasche. Die Cola war kalt und prickelte an meinen Zähnen. Ich trank sie ganz langsam auf der Fahrt zurück zum Center. Ich war bester Laune und lächelte den
ganzen Weg.
Leslie nutzte die Gelegenheit, um mir zu erzählen, dass er mir und ein paar anderen Jungs zugeteilt worden war. Zu
seinem Job gehörte es auch, einen Platz für mich zu finden, wo ich wohnen konnte, wenn meine Rehabilitierung abge-schlossen war. »Wenn du irgendwann mit mir reden willst,
geh einfach zu Esther ins Büro, sie ruft mich dann an, okay?«
Ich nickte zustimmend mit der Colaflasche am Mund.
Bevor Esther an jenem Abend ins Auto stieg und nach
Hause fuhr, zog sie mich beiseite und sah mir direkt in die Augen. Ich wich ihrem Blick aus, aber sie ließ sich nicht davon abschrecken. Sie sagte: »Ich behalte die Bob-Marley-
Kassette und bring sie dir morgen wieder. Also komm vorbei und hör sie dir an.«
Sie stieg in den Wagen und winkte mir zu, als sie weg-
fuhr. Alhaji hatte sein Trikot schon angezogen, rannte herum und tat, als würde er Fußball spielen. Als wir zur Veranda kamen, bestaunten alle Alhajis neues Trikot. Es war grün-, weiß- und blaugestreift, in den Nationalfarben Sierra Leones, und auf dem Rücken stand die Nummer 11. Alhaji schritt
prahlerisch die Veranda ab. Endlich blieb er stehen und behauptete: »Ich kenne die Stadt wie meine Westentasche. Ich weiß, wo man das gute Zeug kriegt.«
Er trug das Trikot fast eine ganze Woche lang und zog es
nur zum Duschen aus, weil er wusste, dass jemand versuchen würde, es zu stehlen. Danach fing er an, Geschäfte mit dem Trikot zu machen. Er borgte es im Tausch gegen Zahnpasta, Seife, Mittagessen und so weiter stundenweise aus. Am Ende der Woche hatte er eine Menge Zahnpasta und andere Ge-188
genstände, die er irgendwo draußen auf Märkten, die ein bisschen weiter vom Center entfernt lagen, verkaufte.
Am Tag, nachdem wir aus der Stadt zurückgekommen
waren, ging ich gleich nach dem Unterricht zur Krankenstation und wartete auf Esther. Sie war erstaunt, mich auf der Schwelle wartend vorzufinden. Sie strich mir über den Kopf und meinte: »Ich habe gute Neuigkeiten. Die Ergebnisse der Untersuchung sind da. Der Arzt sagt, es fehlt dir nichts Ernstes. Ich muss nur aufpassen, dass du bestimmte Medikamente nimmst, und in ein paar Monaten fahren wir noch mal zur
Kontrolle.« Sie schloss die Tür auf und ich folgte ihr wortlos.
Sie wusste, was ich wollte. Sie gab mir die Bob-Marley-
Kassette und den Walkman zusammen mit einem sehr hüb-
schen Notizbuch und einem Stift.
»Du kannst die Texte von den Songs, die dir gefallen, aufschreiben und dann können wir sie zusammen singen, wenn
du magst.« Sie fing an zu telefonieren.
Woher wusste sie, dass ich gerne Songtexte aufschrieb?,
dachte ich, fragte aber nicht nach. Später, nach der Rehabilitierung, erfuhr ich, dass Esther durch die Schule im Center wusste, wofür ich mich interessierte. In den wenigen Unter-richtsstunden, die wir besuchten, bekamen wir Fragebögen.
Die Fragen waren am Anfang sehr allgemein. Sie stießen keinerlei schwierige Erinnerungen an. Was für eine Art von
Musik gefällt dir. Magst du Reggae? Wenn ja, welche Inter-preten? Wieso hörst du Musik? Das waren die Sorte Fragen, über die wir entweder im Unterricht sprachen oder zu denen wir kurze Antworten aufschreiben mussten. Unsere Antworten wurden dann an die Schwester oder die Person, die in der Einzelberatung für uns zuständig war, weitergegeben.
Allmählich freute ich mich darauf, wenn Esther nachmit-
tags kam. Ich sang ihr die Teile der Songs vor, die ich tags-
über auswendig gelernt hatte. Texte auswendig zu lernen ließ mir wenig Zeit, um darüber nachzudenken, was im Krieg
passiert war. Da ich mich immer wohler bei Esther fühlte, sprach ich mit ihr hauptsächlich über die Texte von Bob
Marley und auch über Run DMC. Sie hörte meist zu.
Zweimal die Woche kam Leslie, und er ging die Texte
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