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Rueckkehr ins Leben

Rueckkehr ins Leben

Titel: Rueckkehr ins Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ishmael Beah
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mit

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    mir durch. Er erzählte mir gerne die Geschichte der Rastafa-ris. Ich liebte die Geschichte von Äthiopien und die Ge-
    schichte von der Begegnung zwischen der Königin von Saba
    und König Salomon. Ich fühlte mich ihnen verbunden, weil
    sie so weit gereist waren und mit so viel Entschlossenheit ihre Ziele verfolgten. Ich wünschte, meine Reise wäre so bedeut-sam und fröhlich gewesen wie ihre.
    Es geschah eines Nachts, nachdem ich beim Lesen eines
    Songtextes eingeschlafen war. Ich hatte schon mehrere Mo-
    nate nicht gut geschlafen und war meinen Albträumen nur
    entgangen, indem ich mich Tag und Nacht mit den Texten
    von Bob Marleys Songs beschäftigte, die ich mir anhörte und aufschrieb. Aber in jener Nacht hatte ich einen Alptraum, der anders war als sonst. Er fing damit an, dass ich mit meinem Bruder Junior im Fluss von Mattru Jong schwamm. Wir
    tauchten bis auf den Grund und holten Austern hoch. Wir
    legten sie auf einen Felsen und sprangen wieder in die Tiefe.
    Wir traten gegeneinander an. Zum Schluss hatte Junior mehr Austern als ich. Wir rannten um die Wette nach Hause zum
    Essen. Als wir dort ankamen, stand das Essen in Töpfen bereit, aber es war niemand da. Ich drehte mich um und wollte meinen Bruder fragen, was los sei, aber er war verschwunden.
    Ich war alleine, und es war dunkel. Ich suchte eine Lampe und fand auch eine, aber ich hatte Angst. Schweiß stand mir auf der Stirn. Ich nahm die Lampe mit ins Wohnzimmer, wo
    ein Päckchen Streichhölzer auf dem Tisch lag. Als der Raum hell erleuchtet war, sah ich die Männer, die dort standen. Sie hatten mich im Dunkeln umzingelt. Ich konnte ihre Körper
    sehen – alles außer ihren Gesichtern, die so dunkel waren, als handelte es sich um kopflos wankende Wesen. Einige von
    ihnen waren barfuß, andere trugen Armeestiefel. Alle hatten Gewehre und Messer. Sie fingen an, sich gegenseitig zu erschießen, zu erstechen und sich die Kehlen aufzuschlitzen.
    Aber sie starben nicht, sondern standen immer wieder auf
    und wurden aufs Neue getötet. Ihr Blut füllte allmählich den Raum, der Pegel stieg schnell an. Ihre Schreie bereiteten mir Qualen. Ich hielt mir die Ohren zu, damit ich sie nicht mehr hörte, aber ich spürte ihren Schmerz. Jedes Mal, wenn einer 190
    erstochen wurde, spürte ich es noch schlimmer als zuvor. Ich sah, wie aus denselben Stellen meines Körpers Blut tropfte wie bei den Opfern. Ich weinte, während sich der Raum
    weiter mit Blut füllte. Die Männer verschwanden, und so-
    gleich ging die Tür auf, das Blut rauschte hinaus. Blutüberströmt trat ich nach draußen und sah meine Mutter, meinen Vater, meinen großen und meinen kleinen Bruder. Sie alle
    lächelten, als sei nichts geschehen, als wären wir die ganze Zeit zusammen gewesen.
    »Setz dich, du Unruhestifter«, sagte mein Vater.
    »Hör gar nicht hin«, schmunzelte meine Mutter.
    Ich setzte mich meinem Vater gegenüber, konnte aber
    nicht mit ihnen essen. Mein Körper fühlte sich taub an, und meiner Familie schien gar nicht aufzufallen, dass ich blutüberströmt war. Es fing an zu regnen, und meine Familie rannte ins Haus, ließ mich draußen zurück. Ich blieb eine Weile im Regen sitzen, der das Blut von mir abwusch. Dann stand ich auf und wollte ins Haus gehen, aber es war nicht mehr da. Es war verschwunden.
    Ich sah mich verwirrt um und erwachte aus dem Traum.
    Ich war aus dem Bett gefallen.
    Ich stand auf, ging raus, setzte mich auf die Stufen und sah in die Nacht. Ich war noch immer verwirrt, weil ich nicht sicher war, ob ich geträumt hatte oder nicht. Es war das erste Mal, dass ich von meiner Familie geträumt hatte, seitdem ich aufgehört hatte, vor dem Krieg davonzulaufen.
    Am nächsten Nachmittag besuchte ich Esther, und sie
    merkte, dass mir etwas keine Ruhe ließ. »Willst du dich hinlegen?«, fragte sie fast flüsternd.
    »Ich hab letzte Nacht so einen Traum gehabt, ich weiß
    nicht, was ich davon halten soll«, sagte ich und wich ihrem Blick aus.
    Sie kam, setzte mich neben mich und fragte: »Möchtest du
    mir erzählen, worum es ging?«
    Ich antwortete nicht.
    »Oder einfach nur laut darüber reden und so tun, als wäre ich nicht hier? Ich werde nichts dazu sagen. Nur, wenn du mich darum bittest.« Sie setzte sich schweigend neben mich.

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    Die Stille hielt eine Weile an, und aus irgendeinem Grund fing ich an, ihr meinen Traum zu erzählen.
    Zuerst hörte sie mir einfach nur zu, dann allmählich be-
    gann sie, mir Fragen zu stellen, damit ich über das

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