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Rückkehr nach Kenlyn

Rückkehr nach Kenlyn

Titel: Rückkehr nach Kenlyn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dane Rahlmeyer
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hatten sich längst in wärmere Gefilde aufgemacht.
    Natürlich war Kai nicht bei ihr. Sie war allein.
    Die Armschiene! Endriel hob den rechten Unterarm – und beruhigte sich wieder, als sie dort das makellose Silber des Artefakts schimmern sah. Der große blaue und der kleine rote Kristall über dem Handrückenschutz wirkten matt und leblos im Halbdunkel. Genau wie sie.
    Die Finger ihrer linken Hand fuhren über das glatte Material, das, wie sie wusste, kein Metall war, denn dafür war es viel zu leicht, federleicht sogar. Sie wusste, wenn sie es wollte – allein der bewusste Gedanke reichte – dann würde das harte, polierte was-auch-immer-es-war weich werden wie Seide, sodass sie es bequem von ihrem Arm ziehen konnte, als wäre es ein Handschuh. Sobald sie es erneut überstreifte, würde es sich zu seiner alten Form verhärten und sich erst wieder von ihr lösen, wenn sie allein es wollte – oder ihr jemand den Arm abschlug.
    Nach all den Monaten hatte sie sich derart an die Schiene gewöhnt, dass sie manchmal ganz vergaß, dass sie noch da war. Seit Kai ihr das Artefakt gegeben hatte, hatte sie es nur ein einziges Mal abgenommen: bei ihrem erstem (und glücklicherweise einzigem) Treffen mit Syl Ra Van. Sie wusste, die Geistermaske würde die Armschiene sofort requirieren, wenn sie sie erblickte. Sie war (ihrem Wissen nach) das einzige, erhaltene Sha Yang-Artefakt auf ganz Kenlyn, das die geheimen Portale zum Saphirstern öffnen konnte.
    Nur wie – das war die Frage, die sie quälte, die sie nachts aus dem Schlaf schrecken ließ, die jeden Tag in ihrem Kopf herumkreiste wie ein Schwarm kreischender Möwen. Wie lautete das Zauberwort, mit dem sie das Artefakt aktivierte?
    Und wieder begann sie mit dem Ritual. Endriel kroch aus dem Bett und zog sich an: ein weißes Baumwollhemd mit langen Ärmeln und eine graue ausgebeulte Leinenhose mit großen Taschen an den Oberschenkeln. Dann ließ sie sich im Schneidersitz auf den zerkratzten Bodendielen nieder, atmete einmal tief ein und wieder tief aus, schüttelte sich, um alle Muskeln zu lockern, schloss die Augen und legte die linke Hand auf die beiden Kristalle der Armschiene.
    Also. Auf ein Neues!
    Sie wusste genau, dass Kai ihr das Artefakt niemals gegeben hätte, wenn er sich nicht sicher gewesen wäre, dass sie das Passwort herausbekommen würde. Sie wusste, er hatte diesen Schutz eingebaut, damit die Armschiene nicht von den falschen Händen missbraucht werden konnte – wie beispielsweise denen des Kults oder der Weißmäntel – und sie war sich sicher, dass das Passwort etwas Persönliches war. Etwas, das von Kai kam.
    Wieder versuchte sie, sich jedes Gespräch mit ihm ins Gedächtnis zu rufen, jedes seiner Worte. Doch es fiel ihr von Tag zu Tag schwerer; viel zu viele ihrer Erinnerungen zerfaserten schon wie Nebel. Sie dachte an ihr erstes Zusammentreffen, in jener verlassenen Seitenstraße an einem heißen Sommertag, während des Großen Basars in Teriam. Sie dachte an das erste Mal, als sie seine unglaublichen Augen gesehen und sich Hals über Kopf in ihn verliebt hatte – und daran, dass ihr Leben von diesem Moment an nicht mehr das gleiche gewesen war.
    Sie würde nie vergessen, wie er vor ihr gestanden hatte, in ihrem Schiffsquartier, an jenem Abend, als die Jagd begonnen hatte. »Mein Name ist Kai Novus. Und ich wünschte, ich könnte dir eine plausible Geschichte auftischen Warum mich die Friedenswächter suchen und weshalb der Draxyll mich gestern angegriffen hat, doch das kann ich nicht. Nicht mal ansatzweise. Aber ich brauche noch einmal deine Hilfe ...«
    Sie erinnerte sich daran, wie sie auf dem Brunnen im verschneiten Kirall gesessen hatten, kurz bevor die Dragulia auftauchte und Onkel Andars Leute sie gefangen nahmen. Dort hatte Kai ihr von Liyen erzählt, dem Mädchen, mit dem er zusammen gewesen war; Liyen, die er geliebt hatte und die ein Teil von ihm vermutlich immer noch liebte. » Du erinnerst mich sehr an sie «, hatte er gesagt. Es hatte damals weh getan, und es tat heute noch weh.
    Wieder und wieder dachte sie an Namen aus Kais Geschichte; die gleichen Namen, die sie schon eine Million Mal zuvor ausprobiert hatte und die noch immer nichts bewirkten. Vielleicht dachte sie sie auch nicht richtig? Vielleicht gab es dabei verschiedene »Tonlagen« die sie ausprobieren musste?
    Da waren die »Schwarzen Ratten«, die Straßenkinder, die Kai bei seiner Flucht vor den Weißmänteln geholfen hatten. » Die schwarzen Ratten« , dachte Endriel

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