Rückkehr nach Kenlyn
Nan sagen.
Der Grashalm fiel Endriel aus dem Mund. Sie fuhr herum und starrte den Sha Yang mit großen Augen an.
» Nachdem Liyen gegangen ist, hast du lange in deinem Bett wach gelegen. Bevor du einschliefst, hast du die Gespräche mit ihr im Geist Revue passieren lassen. Darunter befand sich auch das Passwort. Zum Glück lag deine Hand dabei auf der Armschiene. «
Endriel stand da wie vom Blitz getroffen. Dann fing sie an, zu schreien. Sie packte den verwirrten Sha Yang an seinen schmalen Schultern – und ehe er wusste, wie ihm geschah, zog sie ihn zu sich herab und küsste ihn auf die perlmuttschimmernden Wangen. Dann nahm sie seine Hand und tanzte singend und jubelnd um ihn herum, wobei er gezwungen war, sich mitzudrehen. Er sah nicht aus, als sei er diese Behandlung gewöhnt.
Endriel kam abrupt zum Stehen und strahlte ihn an. »Yu Nan, wollen Sie mich heiraten?«
» Ich fürchte, das wird etwas schwierig. «
»Na ja, es wäre sowieso nicht gut gegangen mit uns zweien«, sagte sie lachend. Dann hielt sie verwirrt inne. »Moment mal, Sie wissen also, was in der Zwischenzeit passiert ist? Die Sache mit Liyen und alles?«
Das Eidolon deutete ein Nicken an. Sein Haar leuchtete wie Sternenfeuer. » Du weißt es, also weiß ich es ebenfalls. «
»Dann war es wirklich die einzige Möglichkeit? Sie zu finden und um Hilfe zu bitten?«
» Wahrscheinlich hättest du dich irgendwann von selbst an das Passwort erinnert. Doch niemand hätte sagen können, wann – ob in Wochen, Monaten oder Jahren. «
»Und ... kann ich ihr trauen?«
» Das weiß ich nicht. Du wirst es selbst herausfinden müssen. «
»Wissen Sie was?« Endriel machte eine wegwerfende Geste. »Das alles ist auch völlig scheißegal! Im Moment interessiert mich nur eins: Wo finde ich das nächste Portal nach Te’Ra – und wie öffne ich es?«
» Das will ich dir gerne sagen «, antwortete Yu Nan. » Das nächste Portal befindet sich in– «
» Endriel! «, piepste eine Stimme, und etwas Winziges tätschelte ihre Wange. » Hey, Endriel! Aufstehen! «
Endriel schreckte hoch – und die Welt des Eidolon verwandelte sich in ihr Quartier. Nelen hatte sich gleichzeitig in die Luft geschwungen und blieb flatternd vor ihrem Gesicht hängen. Ihr Grinsen entblößte spitze Eckzähne. »Genug geschlafen, Kapitän! Es ist mittlerweile hellichter Tag!« Sie deutete zum nächsten Bullauge: Eine Wolke wallte lautlos gegen das Glas, und das bisschen, das vom Himmel zu sehen war, leuchtete mit einem leichten Rotstich.
»Nein!«, rief Endriel aus. »Neinneinneinneinnein!« Ihre linke Hand zuckte auf die Kristalle der Armschiene. Sie kniff die Augen zusammen. Das Passwort – wie lautete das verfluchte Passwort?
»Was ist los?«, fragte Nelen verwirrt.
Als Antwort warf Endriel ein Kissen nach ihrer Freundin. Nelen wich blitzschnell aus. »Ha-Hab ich irgendwas falsch gemacht?«
»Das Passwort! Ich hatte endlich das verfluchte Passwort, Nelen! Ich hab mit Yu Nans Eidolon gesprochen; er war gerade drauf und dran, mir zu sagen, wie wir zu Kai gelangen können – und dann kommst du, im denkbar beschissensten Moment, und musst mich da raus reißen!«
»Oh ...« Nelen sank auf die Bettdecke und ließ reuig die Flügel hängen. »Das tut mir leid, ich ...«
Endriel bedeckte das Gesicht mit den Händen. »Ich war so kurz davor, Nelen! Nur ein paar Sekunden mehr und ich hätte – arrrrgh! « Sie ließ sich zurück auf die Matratze fallen und starrte hinauf zu dem Drachenschiffmobile, das sich über ihrem Kopf drehte.
Nelen krabbelte über die Bettdecke auf den Bauch ihrer Freundin. »Es tut mir wirklich leid«, sagte sie noch einmal. »Aber Kopf hoch: Wenn du es einmal rausbekommen hast, dann schaffst du es bestimmt noch ein zweites Mal!«
Endriel antwortete nicht; im Moment hielt sie es für wahrscheinlicher, dass sich die Monde in Reiskuchen verwandelten.
»Aber es gibt auch eine gute Nachricht: Wir sind nämlich längst im Niemandsland!« Nelen bemühte sich um einen aufmunternden Tonfall. »Und wie’s aussieht, kommen wir noch vor Einbruch der Dämmerung in Obrana an – ich meine, falls wir nicht vorher abgeschossen werden oder so.«
»Obrana?«, wiederholte Endriel verwirrt. Sie wühlte in ihrem Gedächtnis, bis es ihr wieder einfiel: das Dorf an den nordöstlichen Ausläufern des Niemandslands, zu dem sie die Hilfsgüter liefern sollten; vorzugsweise noch vor der zwanzigsten Stunde. Eine Frist, die sie locker einhalten würden, wenn Nelen Recht
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