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Rückkehr nach Killybegs

Rückkehr nach Killybegs

Titel: Rückkehr nach Killybegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sorj Chalandon
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dem Rückweg trafen wir auf einen Trupp Astronauten. Mit Schutzhandschuhen, Stiefeln, Overalls, durchsichtigen Schutzmasken, wasserdichten Kapuzen. Ausgerüstet mit Putzmitteln, Hochdruckreiniger und Sauger.
    »Geh doch zurück auf den Mars, Arschloch!«, knurrte ein verwundeter Gefangener.
    Mich brachte mein Wärter zurück. Ein komischer Kerl, fast kahl und älter als die anderen, der stets ein Wort oder einen Blick für uns übrig hatte.
    Wir nannten ihn »Popeye«, wegen seines Kinns und der fehlenden Zähne. Er brachte uns das Abendessen. Und sah jedes Mal bestürzt auf unser Loch. Nahm seine Stoffmaske ab, als wollte er unseren Leidensweg teilen. Schüttelte den Kopf und murmelte: »Jesus Maria!«
    Er musste Katholik sein.
    Einmal hat er mich gebeten, mit den Schweinereien aufzuhören und den blauen Anzug zu akzeptieren. Ich war allein in der Zelle. Aidan hatten sie zur Verwaltung gebracht, um ihm den Tod seiner Schwester mitzuteilen, die bei einem Brand ums Leben gekommen war. Sonst blieb Popeye an der Schwelle stehen. An diesem Tag kam er herein. Hielt sich inder Mitte der Zelle, möglichst weit weg von den besudelten Wänden. Stellte den Blechnapf auf meine Matratze.
    »Nicht mal Tiere leben so.«
    Ich wiederholte unsere Forderungen. Skandierte unsere Parolen. Und ärgerte mich über mich. Er hatte als Mensch zu mir gesprochen, und ich hatte geantwortet wie ein Automat. Sein Kollege wartete auf dem Flur, er war vorsichtig in dem, was er sagte, und leise. Unser Dreck sei allen gleichgültig, die Briten würden uns auch tausend Jahre drinlassen, wenn nötig. Außer in unseren Vierteln, dem isolierten Kreis der irischen Republikaner, habe die Welt keinen Blick für uns übrig.
    »Das geht jetzt schon vier Jahre so. Ist dir das klar? Vier Jahre! Und schau, wo ihr heute steht. Du bist es doch, der in der Scheiße lebt, Meehan, nicht Margaret Thatcher.«
    Die Aufseher machten sich oft über ihn lustig. Dann verteidigten ihn die Gefangenen. Manche meinten, sein Mitgefühl sei nur ein Trick, so eine Bad-guy-Good-guy- Taktik . Doch eines Abends, als Aidan um seine Schwester weinte, bot Popeye ihm an, einen Brief zu seiner Familie zu schmuggeln. Er ließ ihn versprechen, dass er nichts Politisches schriebe, nur einen Trauerbrief, Trost eines Sohnes für seine Eltern. Aidan nahm an. Das war von beiden eine Wahnsinnsaktion, nach den Gefängnisregeln kriminell. Und für Popeye war es Verrat.
    Aidan ging in sich, starrte die Wand an. Lange suchte er nach einer passenden Bibelstelle, dann riss er die Seite heraus. Las sie mir vor. »Das Nationalgebet nach der Niederlage«, Psalm 60. David betet zu Gott:
    »Du hast dein Volk hart geprüft,
    du gabst uns betäubenden Wein zu trinken.«
    Der Junge aus Strabane fragte mich, was ich von seinerAuswahl hielte. Ich gab keine Antwort. Ja, sagte er dann, Gott habe uns hart geprüft. Und diese Prüfung sei für ihn der Beweis seiner Gegenwart. Dann schrieb er lange auf den Seitenrand. Winzig und zusammengedrängt, wie die Gefangenen vor dem Deckenstreik, als es noch Besuche gab. Als wir unser Leben auf Zigarettenpapier erzählten, das wir unendlich oft zu einem Päckchen falteten, klein wie ein Fingernagel. Geheimes aus dem Untergrund, in Alu- oder Frischhaltefolie verpackt. Nachrichten in Männerbacken, anstelle einer fehlenden Plombe. Notizen, beim Kuss im Besuchsraum von einer Zunge zur anderen geschoben.
    Aidans Brief steckte in einem Rest weißer Bohnen, als der Wärter eines Abends unsere Essnäpfe abholte.
    Die Astronauten gingen durchs Gittertor zurück. Popeye trug mich. Hielt mich um die Taille, meine Hand lag auf seiner Schulter. Ich humpelte, spuckte Blut und Speichel. Alles tat mir weh. Meine Knie knickten bei jedem Schritt ein. Meine Haut brannte wie von der Sonne zerfressen und vom Sand zerrieben. Alles drehte sich. Ich stolperte. Und wartete einen Moment, dass der Boden sich beruhigte.
    In diesem Augenblick sah ich Robert Sands. Zum ersten und letzten Mal in meinem Leben. Der Gefangene, der auf Gälisch in die einbrechende Nacht schrie, das war er. Man hatte mir draußen von ihm erzählt, mit sehr viel Respekt. Er war siebenundzwanzig Jahre alt. Vor dem Deckenstreik schrieb er Artikel für die republikanische Zeitung, Gedichte, zeichnete, gab Gälischunterricht. Bobby Sands war zusammen mit vier óglachs verhaftet worden . Sie hatten einen Revolver im Auto gehabt, für fünf. Er bekam vierzehn Jahre Haft.
    »Deinem Chef geht’s nicht gut«, murmelte Popeye.
    Im Knast

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