Rücksichtslos
paar Zentimeter größer war, als sein Boss. Und er wusste, dass dieser nicht gern zu jemandem aufschaute. Schon gar nicht, wenn er so wütend war. Und er tobte weiter.
„ Du bist doch der größte Volltrottel, der herumläuft! Was hast du dir dabei gedacht, sie fast vor unserer Nase in den Fluss zu werfen?“
Sein Gesicht war hochrot gefärbt, und er atmete heftig ein und aus. Der breite Brustkorb hob und senkte sich. Er fixierte Karl. Nagelte ihn regelrecht mit seinem Blick fest. Karl konnte ihm nicht in die Augen sehen, zuckte die Schultern und hob die Handflächen nach oben.
„ Idiot! Und so was füttere ich durch. Das nächste Mal – nächstes Mal klärst du es vorher mit uns ab. Klar?“
Karl nickte und schluckte schwer. Aus den Augenwinkeln beobachtete er, wie der mächtige Mann die kleine Küche verließ. Er atmete aus, drehte die Zeitung um und griff sich den Rest des Hähnchenschlegels.
*
In Katharinas Kopf herrschte ein heilloses Durcheinander. Ihre Träume schienen sich mit der Realität zu vermischen. Fremde Menschen beugten sich über sie. Blaue Lichtblitze trafen ver schwommen in ihre Augen. Im nächsten Moment befand sie sich im Sektionsraum der Rechtsmedizin und starrte in das Gesicht einer toten jungen Frau. Plötzlich öffneten sich deren Augen und Katharina erwachte mit einem leisen Schrei. Völlig orientierungslos wanderten ihre Blicke hin und her. Das Drehen des Kopfes fiel ihr unheimlich schwer, sie konnte absolut nicht sagen, wo sie sich befand, da sie ihre Umgebung nur unscharf wahrnehmen konnte. Alles war so ungewohnt weiß, es roch anders als zu Hause und irgendjemand hielt ihre Hand fest.
„ Wird Zeit, dass du aufwachst.“ Philipps Stimme klang seltsam kratzig.
„ W… wo …“ M ehr brachte sie nicht heraus, bevor ihre Stimme versagte.
„ Du bist in der Klinik. Hast dir einen ordentlichen Infekt eingefangen.“ Philipp schluckte und küsste sie zart auf ihren Handrücken. „Mensch, hast du mir einen Schreck eingejagt . “
„ Tut mir leid.“ Katharinas Stimme klang wie ein Reibeisen. Sie schloss die Augen. So schlecht hatte sie sich noch nie gefühlt. Als hätte man ihren gesamten Körper durch einen Fleischwolf gedreht.
„ Thomas …?“
„ Weiß Bescheid. Ich soll dir liebe Grüße ausrichten. Er wünscht dir gute Besserung und meint du sollst dich auf keinen Fall blicken lassen, bevor du richtig gesund bist.“
Ha. Das hätten sie wohl gern . So mitten in den Mord ermittlungen auszufallen, konnte sie überhaupt nicht leiden.
„ Ich brauche ein Telefon.“
Philipp lächelte „Du bekommst nichts, außer Ruhe.“
„ Ich …“
„ Thomas macht sich eh schon Vorwürfe, weil er dich nicht gleich heimgefahren hat. Du bestimmst in den nächsten Tagen nichts . Schließlich liegst du nicht umsonst auf der Intensiv station.“
„ Aber …“ Ihr Blick fiel auf die Infusionsflaschen, die über ihrem Bett hingen. Langsam tropfte deren Inhalt über einen Plastikschlauch in ihre Vene.
„ Antibiotikum und eine E l ektrolytlösung“, sagte Philipp, als er ihren fragenden Blick bemerkte. Katharina nickte.
Vielleicht war es doch ganz gut, dass sie heute kein Telefon bekam. Aber morgen war ja ein neuer Tag.
Samstag 10.12. 201 1
Kira zuckte zusammen, als sich die Tür öffnete. Als sie Irene Kowatz erblickte, verkrampfte sie sich augenblicklich.
„ Hast du dich beruhigt.“ Es klang nicht wie eine Frage, weshalb Kira auch nicht antwortete. „Leg dich hin.“
Kira gehorchte. Sich zu wehren würde nichts bringen. Die Kraftanstrengung konnte sie sich sparen. Misstrauisch beobachtete sie, wie Frau Kowatz ihren Arm packte und einen Stauschlauch anlegte. Wieder wurde sie von Panik erfüllt. Sie glaubte nicht, dass sich in der mitgebrachten Infusionsspritze nur ein Vitaminpräparat befand, wie die ihr weismachen wollten. Die Nadel bohrte sich schmerzhaft durch ihre Haut. Routiniert wurde sie mit einem Pflaster fixiert und die Infusion angeschlossen. Anschließend stellte die Kowatz den Perfusionsautomaten an, setzte sich auf den einzigen Stuhl in dem Zimmer und wartete. Kira blieb liegen und streichelte über ihren leicht gewölbten Bauch. Ihr und ihrem Baby wird schon nichts passieren. Irgendwie musste sie hier ausbrechen. Sie wusste nur noch nicht wie und starrte auf die hellrote Flüssigkeit, die langsam in ihren Körper gedrückt wurde.
Plötzlich fiel es ihr unheimlich schwer, die Augen offen zu halten. Was spritzten die? Verzweifelt kämpfte sie
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