Rücksichtslos
dem Haus, in dem die Hebamme Clodette Beau champs sowohl ihre Praxisräume als auch ihre Wohnung hatte. Der Motor des Autos lief noch. Unschlüssig blieb sie sitzen. Schließlich drehte sie den Zündschlüssel um und stieg aus.
Mehr als Nein sagen konnte sie nicht. Katharina betätigte die Klingel.
„ Oui? Wer ist da?“
„ Katharina Bergen“
„ Die Polizistin?“
Klang die Stimme etwas nervös? Wahrscheinlich wurde sie durch die Sprechanlage verzerrt.
„ Ja. Ich wollte Sie aber etwas Persönliches fragen. Ich bin nicht dienstlich hier.“
„ Un moment … “
Der Türöffner wurde betätigt und Katharina betrat das Haus.
„ Kommen Sie bitte erein.“
Als Katharina in das warme offenherzige Gesicht der Hebamme blickte, waren ihre Zweifel wie weggeblasen. Sie schilderte ihr in kurzen Sätzen, dass sich ihre Periodenblutung verzögert hatte und dass ihr das allerdings erst vergangene Nacht richtig bewusst geworden war.
„ Pas de probleme! Wir machen eine kleine Test und wissen Bescheid.“
Sie drückte Katharina einen Urinbecher in die Hand und zeigte ihr die Toilette. Zwei Minuten später saß sie, im gemütlichen Schein einer Lavasteinlampe auf der weichen Couch vor einer Tasse dampfenden Kräutertees. Madame Beauchamps tunkte in einem kleinen Nebenzimmer zwischenzeitlich einen Teststreifen in Katharinas Urin. Mit wallendem Gewand und mit dem Streifen in der Hand winkend kam sie kurz darauf zu ihr zurück. Katharina wartete.
„ Kein Baby“, verkündete die Hebamme.
Im ersten Moment fühlte Katharina, wie sich eine große Enttäuschung in ihr breitmachte. Andererseits hatte sie das Ergebnis fast geahnt. Sie hatte sich nicht schwanger gefühlt.
„ Auch gut.“ So eine blöde leere Floskel. „Aber danke, dass sie sich Zeit für mich genommen haben. Ich lasse Sie auch gleich wieder allein. Sagen Sie mir bitte, was ich Ihnen schulde.“
„ Rien. Nichts. Das ist für misch selbstverständlich.“ Sie lachte auf. Das Lachen klang in Katharinas Ohren seltsam, fast nervös. Ihre Nerven waren maximal überreizt. Im nächsten Moment hörte sie, wie die Wohnungstür aufgeschlossen wurde.
„ Clodette?“ , rief eine Stimme, die Katharina vage bekannt vorkam.
„ Isch bin ier. Isch komme sofort zu dir.“ Die leichte Panik in ihrer Stimme war nicht zu überhören. Katharina blickte ihr ins Gesicht. Die Augen der Hebamme waren ängstlich geweitet. Sie wollte sich eben umdrehen, um Katharina allein zu lassen, als die andere Person unter dem Türrahmen erschien. Das gab es doch nicht. Mit einem Mal war ihr alles klar. Sie griff nach der Waffe, die sie im Schulterholster verdeckt unter ihrer Weste trug, und ignorierte das Klingeln ihres Mobiltelefons.
*
Thomas fühlte sich ein wenig unwohl, als Katharina ihn verließ. Jedoch vergaß er das sofort, da Alfred herein kam. Auch er legte heute eine Sonderschicht ein. Er war am Morgen bei Pohl gewesen, der die Obduktion des Babys durchgeführt hatte. Der Leichnam der Frau war noch nicht gänzlich aufgetaut, sodass sie hier noch Geduld brauchten.
„ Und?“, fragte Thomas mit einem leichten Beben in der Stimme.
„ Es ist erstickt worden“, antwortete er leise.
„ Also ist es lebend auf die Welt gekommen.“ Thomas’ Faust knallte auf die Tischplatte. „Mit wem haben wir es hier zu tun?“
„ Hoffentlich finden wir das bald heraus!“
„ Hatte das Neugeborene noch andere Fehlbildungen?“
„ Außer den sechs Fingern nicht. Laut Pohl war alles richtig angelegt. Das Kind war zu hundert Prozent lebensfähig und gesund.“
Thomas vergrub seinen Kopf in den Händen.
„ Wo sollen wir ansetzen?“, fragte Alfred. „Wir haben noch keine heiße Spur. Unser Verdächtiger ist auf freiem Fuß. Und wenn wir ehrlich sind, hatten wir, außer dieser anonymen Nachricht und der Tatsache, dass sie von seinem Rechner geschrieben worden war, nichts gegen Hagen in der Hand. Absolut nichts. Geschweige denn ein Motiv . “
„ Ganz so kann man das vielleicht nicht sehen“, meinte Thomas langsam.
„ Wie meinst du das?“ Alfred richtete sich auf.
„ Naja. Katharina hat da so eine verrückte Idee. Aber eventuell ist sie gar nicht so verrückt.“ Er erzählte ihm in kurzen Worten von ihren Gedanken. Alfred starrte ihn entgeistert an.
„ Wie kommt man den auf so was? Andererseits hatte unser Küken schon manchen Geistesblitz.“ Er versank in Schweigen.
„ Ich habe genauso reagiert. Aber wer weiß?“
„ Wo ist sie denn überhaupt?“
„ Sie
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