Rühr nicht an mein dunkles Herz (German Edition)
abgezweigt habe?«
So lange lief das also schon? »Warum dann überhaupt?«, ereiferte sie sich. »Warum hast du vorgegeben, dass es wichtig ist? Und warum hast du mich überhaupt da mit hineingezogen?«
»Das musste ich«, gab er unumwunden zu. »Die Behörden wurden langsam misstrauisch. Es musste legitimen Handelsverkehr geben, um den illegalen zu tarnen.«
Natürlich, dachte sie finster. Und sie hatte geglaubt, dass er sich auf sie verließ, dass er ihr vertraute und von ihr abhing wie sonst noch nie jemand. Doch selbst das hatte nur praktische Gründe gehabt. Überaus praktisch, eine unverheiratete Tochter zu haben, die ihm seine Alibis lieferte.
Gott, was für ein Dummkopf sie war! Nicht einmal bei George hatte sie sich so gründlich zum Narren gemacht.
»Tochter.« Er griff nach ihrer Hand. Sie ließ es zu. Sie spürte seine Berührung sowieso kaum. »Du weißt, wie sehr ich dich liebe. Meine Liebe zu dir ist der Grund, warum ich das getan habe. Ich habe es für uns getan.«
Sophie hatte von sich dasselbe behauptet. Und wie Papa hatte sie es mit Bedauern gesagt. Falsche Aufopferung, dachte Lydia. Wahre Aufopferung forderte keine Leidtragenden außer einen selbst. Sie ließ die Empfänger ihrer Wohltätigkeit nicht blutend zurück.
Sie atmete aus. Er hatte recht, das Dach über ihrem Kopf war wirklich elegant. Prächtig ausgestattet: Kidderminster-Teppiche und an den Wänden unbezahlbare Ölgemälde. George war kein verletzlicher junger Mann. Er stand im Zentrum mächtiger Allianzen, die es sich nicht leisten konnten, ihn zu ächten, wenn herauskäme, dass sein Schwiegervater sich einen Fehltritt erlaubt hatte. Mr Pagett hatte sich öffentlich festgelegt; Ana war wahrscheinlich aus dem Schneider. »Du hast es für dich selbst getan«, sagte sie anklagend. »Es gibt keinen Zweck, der diese Mittel heiligt.« Ihr Ton war hässlich geworden: Sie hatte einen Kloß im Hals. Sie würde nicht vor ihm weinen. Diese Genugtuung gönnte sie ihm nicht. »Und nichts von dem, was du hier siehst, ist deinem Diebstahl geschuldet. George hat Sophie nicht wegen der eleganten Kleider geliebt, die sie trug, oder aufgrund der unrechtmäßig erworbenen Gelder, mit denen du ihr Kämme gekauft hast. Er hat sich um ihrer selbst willen in sie verliebt. Möge Gott ihm beistehen, aber das hatte nichts mit dir zu tun. Deine Ausflüchte widern mich an.«
»Nein«, flüsterte er. »Lydia, du irrst dich. Ich habe es wirklich für dich getan. Und für Ana. Ich konnte mich nicht darauf verlassen, dass ihr einen Mann findet. Ich konnte euch nicht unversorgt zurücklassen. Ich habe für euch ein Konto eingerichtet – ich habe dir nie etwas davon gesagt, aber die Vorstellung, was nach meinem Tod mit euch geschieht, hat mich sehr gequält … «
»Und für Ägypten?« Sie holte zitternd Luft. »Ich nehme an, du hast es auch für Ägypten getan.«
Er runzelte die Stirn. »Ja. Ich denke schon.«
»Und für die wissenschaftlichen Publikationen, die du veröffentlichen kannst. Das Geld, das du verdienen kannst, damit du dir weiter einen Namen machen kannst.«
Er wich zurück. »Du glaubst, ich tue das alles um des Ruhmes willen? Du glaubst, ich verbringe Jahre getrennt von dir, von deinen Schwestern, nur um ein wenig Unsterblichkeit zu erwerben? Mein Projekt steht über all dem, Lydia. Es geht um die Ursprünge der Menschheit!«
Sie hatte keinen Bedarf mehr an solcher Phrasendrescherei. Was sie in Wut versetzte, waren die Details. »Jahre? Jahre, die du im Ausland verbracht hast? Unser ganzes Leben lang hast du keine Zeit für uns gehabt! Bei dir stand immer Ägypten an erster Stelle! Sogar als Mama im Sterben lag … « Sie fing sich wieder. Sie hörte selbst, wie kindisch sie klang, wie eine Fünfjährige bei einem Trotzanfall. »Ana kennt dich kaum«, sagte sie jetzt ruhiger. »Weißt du, wie oft sie mich fragt, ob du ihr geschrieben hast? Dann erkläre ich ihr jedes Mal: Seine Arbeit ist wichtig. Er ist sehr beschäftigt. Sein Anliegen ist nobel. Aber stimmt das überhaupt?« Ihre Stimme wurde wieder lauter. » Das ist es, wofür du auf uns verzichtet hast? Für Schmuggel, Diebstahl und Profitgier?«
»Rede keinen Unsinn«, wies er sie scharf zurecht. »Wie kannst du an meiner Hingabe zweifeln? Ausgerechnet du! Mein Gott, hast du denn alles Vertrauen in mich verloren?«
Vertrauen. Sie wusste besser als jeder andere, was das war. Langlebiger als jeder Stoff, den die Wissenschaft bisher entdeckt hatte – und wenn es zerbrach, spitzer
Weitere Kostenlose Bücher