Rühr nicht an mein dunkles Herz (German Edition)
nächste Morgen brach kalt und nass herein. In der Kutsche zog Lydia sich ihren Schal über den Mund, um das Brennen in ihrer Lunge zu lindern. Egal zu welcher Jahreszeit, die Luft in den schmutzigen Gassen um Carnellys Lagerhaus herum roch beißend und stickig, eine Mischung aus Kohlenrauch und Urin, verfaulendem Fisch und offener Kanalisation. Als der Wagen langsamer fuhr, um eine enge Stelle zu passieren, sprangen ein paar streunende Hunde, denen das Fell in schmutzigen, verfilzten Strängen von den abgemagerten Körpern hing, jaulend aus dem Rinnstein. Lydias Diener, der ihr gegenübersaß, drückte die Schusswaffe fester. Ihr schoss durch den Kopf, dass die Bewohner des East End eine weitaus geringere Bedrohung für sie darstellten als die Möglichkeit, dass die Pistole fehlzündete. Deshalb stieg sie, als sie endlich vor dem Warenlager anhielten, mit einem Seufzer der Erleichterung aus.
Doch drinnen sank ihre Laune schlagartig. »Es ist allerdings wahr, Miss«, informierte Carnelly sie und reichte ihr ein Blatt Papier. »Die Fälschung ist leider auf der Transportliste Ihres Vaters aufgeführt.«
Ihr schnürte sich die Kehle zu. Dann musste es ihr Fehler gewesen sein. Sie hatte eine auffällige Fälschung übersehen. Wie sollte sie das Papa erklären? »Wie konnte sie dort hineingeraten? Mein Vater würde so etwas nicht übersehen.«
Er zuckte mit den Achseln. »Vielleicht hat sich in Port Said jemand an der Sendung zu schaffen gemacht, oder gar in Malta. Und hat das echte Stück durch dieses minderwertige ersetzt.«
»Ja«, murmelte sie. Das war die einzige brauchbare Theorie. Sie schob den Gedanken erst einmal beiseite, um sich ihre unmittelbare Vorgehensweise zu überlegen. Sie musste sich den Viscount vorknöpfen. »Ich wusste gar nicht, dass Lord Sanburne ein Kunde meines Vaters ist.« Auch das ließ auf eine peinliche Unachtsamkeit ihrerseits schließen. »Wer ist sein Mittelsmann?«
Carnelly hatte an seinen Zähnen gesaugt; jetzt ließ er sie mit einem feuchten, ploppenden Geräusch los. »Das ist es ja gerade, Miss. Nichts aus dieser Sendung war je für seine Lordschaft bestimmt. Normalerweise verkaufe ich ihm Colbys Sachen. An den billigeren Stücken ist er nicht sehr interessiert.« Auf ihren irritierten Blick hin wurde er rot und zuckte mit den Achseln. »Ich meine die weniger teuren Stücke, Miss, mit denen Ihr Vater für gewöhnlich handelt.«
»Er handelt mit den Stücken, für deren Verkauf er die Genehmigung der ägyptischen Regierung hat«, erklärte sie. »Er ist kein Plünderer, Sir, sondern ein seriöser Wissenschaftler. Das wissen Sie ganz genau.«
Carnelly räusperte sich. »Ja, Miss. Es ist nur so, dass es eine Verwechslung gegeben hat. Die Stele war nie für ihn bestimmt.« Verlegen deutete er mit dem Kopf auf den Zettel in ihrer Hand.
Die Handschrift auf der Packliste war ihr vertraut: die sich nach links neigende Schrift des Sekretärs ihres Vaters in Kairo. Aber die Beschreibungen sagten ihr nichts. »Das ist eine Sendung für Mr Hartnett«, stellte sie fest. Er war ein alter Studienfreund von Papa und erwarb Gegenstände, ohne sie vorher gesehen zu haben.
»Jawohl, das stimmt.«
Erleichterung überkam sie. Also war ihr die Fälschung doch nicht aus Versehen durchgerutscht. Dank Mr Hartnetts Vereinbarung mit Papa brauchte sie seine Gegenstände nicht zu prüfen. »Aber warum waren diese Stücke überhaupt im Umlauf? Ich hatte Sie doch angewiesen, sie zurückzuhalten. Schließlich ist der Gentleman vor zwei Wochen verstorben.«
Er seufzte. »Jawohl. Daran ist Wilkins schuld. Er hat die ganze Sache vermasselt. Die Stücke Ihres Vaters waren nicht die einzigen, die er durcheinandergebracht hat, Miss. Overtons Sachen sind an Colbys Abnehmer gegangen.«
Overton war ein Schwein. Er schmollte immer noch, weil Papa ihm seinen besten Kunden abspenstig gemacht hatte. »Erwarten Sie wegen ihm von mir kein Mitleid.«
»Das würde ich nie tun. Es ist Colby, der mir Sorgen macht. Droht mir damit, keine Geschäfte mehr mit mir zu machen. Ich würde Wilkins deshalb am liebsten eine Abreibung verpassen.«
Mr Carnellys Neffe war ein schreckliches Ärgernis für ihn, und die Patzer des Jungen waren zu einer Art immerwährendem Witz geworden. Doch heute konnte sie keine Belustigung dafür aufbringen. Seine Unfähigkeit brachte Papa in Gefahr. Mr Hartnett wäre klar gewesen, dass die Fälschung nicht absichtlich an ihn weitergegeben worden war, doch Sanburne hatte keine Veranlassung, das zu
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