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Rühr nicht an mein dunkles Herz (German Edition)

Rühr nicht an mein dunkles Herz (German Edition)

Titel: Rühr nicht an mein dunkles Herz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meredith Duran
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die Verlockung völlig profan. Der Gedanke daran schmerzte, eine angenehme Qual, als kippte man sich Gift in die Kehle, um zu schmecken, wie süß es war. Und die Galle, die ihm hochkam, während er dort saß – nun, das war der Geschmack von Verachtung, die ausschließlich ihm selbst galt.
    Es klopfte an der Tür. Sein Kammerdiener war zurückgekommen und der Butler stand direkt neben ihm. James war gelinde gesagt überrascht, sie zusammen zu sehen, und setzte sich auf. Sie pflegten eine heftige Rivalität, von der er eigentlich nichts wissen sollte.
    »Sir«, sagte Gudge. Sein sonst so unerschütterlicher Butler war hochrot im Gesicht. »Entschuldigen Sie die Störung, aber Sie haben eine … Besucherin.«
    »Zu dieser Stunde?« Offenbar war er nicht der Einzige, der die Konventionen satt hatte.
    »Eine äußerst merkwürdige Dame. Ich habe versucht, sie abzuweisen, doch sie beharrt darauf, Sie sprechen zu müssen. Ihr Auftreten, Sir … nun, bevor ich sie hinauswerfen lasse, hielt ich es für das Beste, Sie zu informieren.«
    Was hieß, dass sie wie eine Dame von vornehmer Herkunft sprach und gekleidet war und Gudge es deshalb nicht wagte, sie grob zu behandeln. »Hat sie ihren Namen genannt?«
    »Sie ist verschleiert«, sagte Norton aufgeregt. »Von Kopf bis Fuß, Sir!«
    Gudge warf dem Kammerdiener einen strengen Blick zu. »Sie wollte ihren Namen nicht preisgeben. Vermutlich fürchtet sie sich vor dem Klatsch des Personals.« Eine Unterstellung, die ihn ganz offensichtlich kränkte, denn Gudge bildete sich viel auf seine eifrige Kampagne gegen häuslichen Tratsch ein.
    Nun, dachte James. Der Vormittag versprach doch nicht so langweilig zu werden, wie er befürchtet hatte.
    Die Dame, die sich in seinem Arbeitszimmer auf einem Stuhl niedergelassen hatte, war stärker verschleiert als eine osmanische Witwe. Ihr Aufzug schien ein sonderbares Nebeneinander aus Trauerkleidung und schiefergrauem Straßenkleid zu sein. Kein Wunder, dass sie ihren Namen nicht hatte nennen wollen. Die Dienerschaft hätte noch monatelang davon gesprochen.
    Er schloss die Tür mit mehr Wucht als nötig. Der schwarze Crêpe-Schleier richtete sich ruckartig auf. »Sanburne?«
    Er lehnte sich an die Tür und kämpfte gegen ein Lachen an. »Können Sie durch das Ding nichts sehen?«
    Schwarz behandschuhte Hände kamen zum Vorschein und lüpften langsam den Schleier. Höher und höher fassten sie und enthüllten einen schlanken weißen Hals und ein spitzes Kinn, dann lange, rote Lippen – die sie, wie er langsam glaubte, gewohnheitsmäßig zu einem harten Strich zusammenpresste. Als Nächstes erschien eine lange, gerade Nase und schließlich weit auseinanderstehende haselnussbraune Augen, die sich bei seinem Anblick zu Schlitzen verengten. Er hatte sich noch keinen Zoll auf sie zubewegt, und dennoch sah sie ihn schon an, als hätte er Verrat begangen. Wenn es ihr einmal gelänge, sich zu entspannen, wäre sie viel hübscher.
    Er ließ ihr einen Augenblick Zeit, um das Wort zu ergreifen, doch es schien, als hätte ihre eigene Kühnheit sie auf einmal überwältigt. Sie atmete so tief und schnell, dass es quer durch den Raum zu hören war. Eine Nadel löste sich aus dem Schleier, der zur Seite wegrutschte, und als sie ihn wieder gerade ziehen wollte, stieß sie versehentlich mit der Hand an ihre Nase.
    Seine Mundwinkel zuckten belustigt. Sie war eigentlich nicht tollpatschig. Er bezweifelte, dass Miss Boyce je etwas so Undiszipliniertes tun würde wie zu stolpern. Doch schon bei ihrer ersten Begegnung war ihm die Angriffslust in ihren Bewegungen aufgefallen. Sie trug ihre Körperhülle so gedankenlos wie einen Mantel. Diese Trennung von Körper und Geist war seltsam bezaubernd. Sie drängte Männern die Frage auf, was es bräuchte, um ihr Empfinden aus den disziplinierten Grenzen ihres Verstandes auf die weichen Formen ihrer Haut zu lenken.
    Er stieß sich von der Tür ab. »Sind Sie gekommen, um mir noch eine Vorstellung zu geben?«
    »Sie zu unterhalten ist nicht mein Anliegen«, sagte sie.
    Ja, das hatte er sich schon gedacht. Er musterte sie eingehend. Ihr Rückgrat hielt sie aufrechter als ein Brett. Was für ein eigenartiges, leidenschaftliches Schätzchen sie doch war! Ein paar schwarze Haarsträhnen lösten sich aus ihrem Chignon, ihre grauen Röcke waren am Saum mit Schlamm bespritzt. Andere Frauen hätten sich gerüstet, bevor sie sich in die Höhle des Löwen wagten. Sie hätten einen Hauch Rouge aufgelegt oder sich wenigstens vom

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