Rütlischwur
»Annie’s Best – Annie’s Landmark. Annie hier und Annie dort.«
»Annie«, wiederholte nun auch Chester.
»Sie ist überall. Und gemeint ist Anne-Christine Banz, geborene Duprey. Nicht wahr?«
Schweigen.
»Wenn der Oberst tatsächlich vom selben Schlag ist wie ich, so wie Sie das vorhin gesagt haben …« Der Kommissar stellte die Flasche auf den Küchentisch. »Trotzig, sentimental …« Er machte eine ausholende Bewegung mit den Händen. »Dann sind Annie und er ein Liebespaar gewesen. So ist es doch, oder? Und zwar seit 1981.«
Chester hob die Schultern.
»Sie wissen das sehr wohl. Auch wenn Sie damals noch nicht für ihn tätig gewesen sind. Und wissen Sie, warum? Weil Sie Billadier erlebt haben, damals nach dem Unfall. Wie er um seine Liebe getrauert … wie er das gemeinsame Kind bei sich aufgenommen und großgezogen hat. Judith ist seine Tochter.«
Eschenbach sah zu, wie Chester bleich wurde, wie sie wortlos und mit zitternden Händen den letzten Teller in die Spülmaschine stellen wollte. Er konnte die Frau gerade noch auffangen, als sie – wie ein altes Holzhaus nach einem Brand – in sich zusammenbrach und einstürzte.
Der Kommissar trug sie ins Wohnzimmer. Er bettete Chester auf die Couch und erweckte ihre Lebensgeister, indem er etwas Whiskey auf ein Taschentuch träufelte und es ihr vor die Nase hielt.
»Ich hätte Ihnen das nie erzählen dürfen … alles, nur das nicht.«
»Sie haben ja gar nichts gesagt.«
»Ehrlich?«
»Ich schwöre es.«
Nach einer Weile, als sich Chester etwas erholt hatte, erzählte sie dem Kommissar, wie sich Ernest und Anne-Christine kennengelernt hatten. Damals, in einer Klinik für Suchtkranke, nördlich von Dublin, als sich der Oberst wegen seines Alkoholproblems hatte einliefern lassen.
»Und dort war Anne-Christine ebenfalls?« Eschenbach war erschüttert, als er es erfuhr. »Warum?«
»Sie nahm Tabletten … war nicht glücklich in der Beziehung mit Banz.« Chester sah ihn an. »Das überrascht Sie nicht, nehme ich an.«
Der Kommissar schüttelte den Kopf.
»Vielleicht hätte sie bei Ihnen bleiben sollen …«
An dieser Stelle unterbrach Eschenbach die alte Frau. Woher wusste sie, dass Anne-Christine seine Jugendliebe war? Hatte sie ihm nicht gesagt, dass sie erst nach dem Unfall zu Ernest auf die Landmark gezogen war? Er sprach Chester darauf an.
»Ich habe damals noch nicht bei ihm gearbeitet, aber mein Mann Ethan«, erklärte sie. »Er hat sich um den Garten gekümmert, die Zäune … Und als der Oberst später viel Geld verdient und eine Pferdezucht gekauft hat, auch darum. Wir wohnten in einem kleinen Cottage, drei Meilen nördlich von hier. Die ersten zwei Jahre hatten sich Annie und der Oberst nur geschrieben. Als Judith drei Jahre alt war, kam sie zum ersten Mal hierher. Für zwei Wochen. Später immer öfter. Als wir einmal beisammensaßen, im Winter, vor dem Kamin, da hat Annie es mir erzählt.«
Eschenbach konnte es kaum fassen. »Sie ist hier auf der Landmark gewesen?«
Die alte Frau nickte. »Annie hatte ihrem Mann alles gebeichtet, als Judith vier Jahre alt war. Dann ist sie gegangen.«
Ein kleines Lächeln huschte Eschenbach übers Gesicht.
Chester bemerkte es. »Der Bankier hatte ihr gesagt, er nähme zwar fremdes Geld, aber mit fremden Kindern wolle er nichts zu tun haben. Also ist sie hierhergekommen, zu Ernest. An einem wunderschönen Tag im Mai, ich kann mich noch gut erinnern. Das Gras grünte auf den Feldern … Ernest hat Judith ein kleines Pony gekauft. Sie waren eine glückliche kleine Familie, bis zu diesem schrecklichen Unfall im Herbst …« Eschenbach zögerte. Er hatte den Bericht der irischen Polizeibehörde gelesen. Es hatte damals eine Tote gegeben, Anne-Christine. Sowohl Judith wie auch der Lenker des anderen Fahrzeugs hatten überlebt. Fragend sah er Chester an.
»Sie sind sich begegnet«, begann die alte Frau etwas stockend, »auf der schmalen Straße Richtung Cork. Ethan hatte den Pferdetransporter angehängt. Die beiden winkten sich sogar noch zu. Damit Annie an ihm vorbeikommt, ist Ethan auf die Seite gefahren … aber da war eine Böschung, und der Transporter ist umgekippt, direkt auf die Fahrerseite von Annies Wagen.«
»Um Gottes willen.« Eschenbach nahm Chester in die Arme, als er sah, wie sie ihr Gesicht in den Händen vergrub. »Und Ihr Mann … Für ihn muss es ja furchtbar gewesen sein.«
»Ethan hat sich … er hat sich erhängt«, murmelte sie. »Ein halbes Jahr später. Er
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