Rütlischwur
die Schreibunterlage geschlagen und zur Tür gezeigt. »Dort ist der Ausgang, Sie Idiot – ich bin fertig mit Ihnen.«
Nachdem John das kleine Zimmer verlassen hatte, erhob sich der Kommissar langsam und ging zum Tisch. Vielleicht hätte er den Mönch irgendetwas fragen sollen, aber er war zu sehr mit sich selbst beschäftigt gewesen. Er war in höchstem Maße verwirrt und sah an sich herunter. Ein Paar ausgetretene Turnschuhe, eine Trainingshose aus grauer Baumwolle und ein weißer Sweater. Zumindest was die Hose und die Schuhe betraf, war er sich absolut sicher, dass er diese Kleidungsstücke zuvor noch nie gesehen hatte. Er setzte sich.
Durch das kleine Fenster sah er ein Stück blauen Himmel. Es war irgendein Morgen, dessen Bestimmung er nicht kannte. Auch den Wochentag wusste er nicht. Bedächtig und mit dem Gefühl, nicht ganz bei sich zu sein, begann Eschenbach die Suppe zu löffeln, die er sich vermutlich selbst eingebrockt hatte. Nur wie? Eine Mischung aus Kartoffeln, Karotten und Sellerie. Eine gute Gemüsesuppe aus einer Klosterküche. Denn dort war er gelandet, sofern er Bruder John glauben wollte. In einem Benediktinerkloster. Wenn man wenig wusste, war glauben eine hilfreiche Alternative, fand er. Zudem schien es logisch. Wo sonst gab es Brüder, die in Kutte herumliefen. Und das nächste Mal würde er fragen, in welchem Kloster. Wenn er die Kraft dazu hatte.
Mit einem Stück Brot nahm er den Rest der Suppe auf, dann biss er in den Schokoladenstängel. Was wusste er über Klöster? Er selbst war reformiert, und Zürich, die Stadt, in der er lebte, war es seit fünfhundert Jahren ebenso.
Früher hatte er einmal ein Kloster besucht, auf Zypern. Aber das war eine Ewigkeit her, und das Einzige, woran er sich erinnern konnte, waren zwei teure Flaschen Wein, die er mitgenommen hatte, weil ihm das Etikett gefiel. Und die er später bei sich zu Hause in den Spülstein leerte, weil sie nicht einmal zum Kochen taugten.
Ulrich Zwingli hatte ganze Arbeit geleistet. Eschenbach wusste so gut wie nichts über katholische Ordensgemeinschaften und deren Stätten.
Kapitel 8
Treffen in der Nacht
J udiths Plan war aufgegangen.
Als die Männer nur noch einen Meter von ihr entfernt gewesen waren, war sie nach vorn geschnellt, zwischen ihnen hindurch in Richtung Tür. Nun befand sie sich im Flur. Judith spurtete zur Treppe, nahm drei, vier, fünf Stufen auf einmal bis hinunter ins Parterre des Hauses. Es war ein Wunder, dass sie keine Stufe verfehlte.
»Fuck you!« , rief jemand hinter ihr. Die Stimme überschlug sich. Judith konnte nicht ausmachen, wer von den dreien es war. Ein Wirrwarr aus Schritten hallte wie gedämpftes Mündungsfeuer durchs Treppenhaus.
Sie folgten ihr.
Als sie draußen im Freien war, griff sie sich kurz an die Stirn. Vermutlich eine Platzwunde, die sie sich zugezogen hatte, als der Sechser sie geschlagen hatte.
Das Haus, in dem sie gespielt hatten, lag in einer Sackgasse. Sie durfte auf keinen Fall in die falsche Richtung laufen. Judith versuchte sich zu erinnern. Kostbare Sekunden vergingen, dann rannte sie weiter.
Der Weg stieg leicht an und mündete in der vielbefahrenen Weinbergstrasse. Sie lag goldrichtig. Was nun kam, war eine bolzengerade, leicht abschüssige Strecke, die bis zum Central hinunterführte.
Judith machte Tempo.
»Du musst die 440 Yards unter 90 Sekunden schaffen, dann hängst du jeden ab.« Es war einer der Lieblingssätze von Ernest, wenn sie auf der kleinen Anhöhe hinter der Mühle miteinander um die Wette liefen.
»Der 400-Meter-Lauf ist die längste und gleichzeitig qualvollste Sprintstrecke. Einfach losrennen kann jeder, und selbst wenn er untrainiert ist, wird er die hundert Meter schaffen. Vielleicht sogar in einer passablen Zeit. Aber dann kommt der schwierigere Teil: Die Distanz verdoppelt sich auf zweihundert – und verdoppelt sich nochmals auf vierhundert Meter. Dieses exponentielle Wachstum will der Körper nicht bewältigen. Bei den meisten ist deshalb nach zweihundert Metern Schluss. Die Sauerstoffversorgung im Blut funktioniert nicht mehr richtig, und du denkst, die Beine brechen weg.
Diesen Punkt knackst du nur mit dem Kopf. Du rennst einfach weiter. Und wenn du das ein paarmal gemacht hast, dann weißt du, dass es geht. Du hast einen Vorteil, weil kaum einer über diese Erfahrung verfügt. Zwinge deine Muskeln dazu weiterzumachen.
Den 400-Meter-Lauf gewinnt man mit dem Willen.
Die besten Resultate, die von Frauen über diese Distanz
Weitere Kostenlose Bücher